Das halbe Haus: Roman (German Edition)
den verhext, zerstückelt und aufgefressen? Bist du deshalb so fett geworden?« Vom Vortag sind noch klebrige Makkaroni übrig, die pult er aus dem Topf und wirft dem Kater ab und zu eine vor die Pfoten. Mit der Zunge nimmt der sie auf und beißt sie tot. Wie schön das war, dem kleinen Tiger zum ersten Mal beim Saufen zuzusehen. Wie die Milch auf die Katzenzunge sprang, und dann die Gänsehaut, als das kleine Reibeisen über seinen Arm fuhr. Hans Rosenthal findet es spitze, dass er sein Glied mit drei Handgriffen steif machen kann. Eva nicht. Dass er seinen Pflichten nicht nachkomme, das kenne sie ja schon, dass er sie jetzt auch noch so dreist belüge, sei eine bittere Enttäuschung für sie. Er glättet seine Trainingshose und sagt: »Es ist doch noch gar nicht Abend.«
Nach der Modewoche hat Leo einen Flitz. Sie bindet sich Tüllbänder ins Haar, trägt Pumphosen aus Fallschirmseide, lackiert sich Finger- und Zehennägel blau. Abends büxt sie aus und kommt erst am nächsten Nachmittag heim. »Es ist ganz einfach«, sagt Eva, »ich informiere deinen Vater oder gleich deinen Großvater.« Leo verspricht, sich zu bessern, doch als Theo in ihr Bett pisst, flippt sie völlig aus. Sie reißt die Bettwäsche herunter und schleudert sie einem an den Kopf. Man solle sie sofort waschen und die Scheißkatze auf die Müllkippe schmeißen. Sie tritt Theo in den Bauch. Am nächsten Morgen liegt der Kater vor der Waschküche. Fliegen kriechen über seine Augen. Er trägt das Tier ins Haus, die Fliegen kommen mit. »Du hast meinen Kater auf dem Gewissen«, sagt er zu Leo, die an ihrem Schminktisch sitzt, »er hat sich umgebracht.« Durch den Spiegel schaut sie ihn und das Fellbündel an. »Tiere begehen keinen Selbstmord«, sagt sie. – »Und was ist mit den Lemmingen?« – »Eine Erfindung von Walt Disney.« Unter dem weißen Jasmin gräbt er ein Grab, dort, wo schon die beiden anderen Katzen ruhen. Auf dem Spaten fährt er zur Erde. In der Garage zimmert er ein Kreuz aus Holzlatten. Was soll darauf geschrieben stehen, außer dem Namen? Bestimmt nicht das, was der Vater auf den Stein der Mutter schreiben ließ. Mit seinem schwarzen Edding malt er vier Buchstaben auf das Holz: »T-H-E-O«. Vier fahrn nach Lodz.
Die Großmutter schreibt Briefe. Er solle auch mal zu Edelgard und Marion gehen und ihnen kondolieren. Ruhig auch mal bei Rudolfs Grab vorbeischauen. Nicht den Kontakt zu seiner eigentlichen Familie abreißen lassen. Sie schreibe übrigens mit der linken Hand, weshalb es auch ein bissel krakelig aussehe. Sie habe einen kleinen Unfall gehabt, nichts Beunruhigendes. Er ist nicht beunruhigt. Er schreibt nicht zurück. Er fängt auch kein neues Notizbuch an. Er geht zu keiner Menschenseele, ob tot oder lebend. Er hält bloß still und guckt zu.
Aus Evas Portemonnaie maust er zwanzig Mark und besucht die Kleinmesse. Von den Spielautomaten kommt er schlecht los. Mit dem Zeigefinger muss man gegen eine Metalllasche schnippen, um eine Münze in den richtigen Schacht segeln zu lassen. Trifft man in den roten Schlitz, rasseln fünfzehn Münzen nach unten. Es fühlt sich an, als ob sie durch den eigenen Körper rasseln. Nachdem er pleite ist, krabbelt er unter das Trittgitter, um verlorene Münzen aus dem Kies zu klauben. Über ihm stehen die Spieler, er kann ihre Schuhgrößen lesen. Mehr Kippen als Münzen liegen im Kies. Nachdem er auch die gefundenen Münzen verspielt hat, bettelt er die Spieler an, die gerade eine Glückssträhne haben. Als ihm niemand mehr etwas abgibt, streunt er über das Gelände. Zuckerwatte, Büchsenwurf, kandierte Äpfel, Geisterbahn und Autoscooter. Hinter dem Fluss liegt das große Stadion, die Flutlichtmasten zeigen sich. In ihren Trainingsanzügen fahren die Jungs von der KJS Karussell. Er sieht Smoktun, Krüger, Kößling, er sieht Kupfer. Sie lachen und versuchen, die Ketten des Nebenmanns zu fassen. Er macht die Biege. Er wird Altstoffe sammeln und an den Automaten seinen immensen Reichtum begründen. Am Luftgewehrstand fliegen ihm Porzellansplitter ins Gesicht.
Wenn man den Daumen auf die Sonne drückt und die Lider eng macht, schneit es. Im Messinglicht schweben die Flocken, manche als Funken, andere als Daunen, es werden immer mehr, je länger und tiefer man schaut: ein Schneetreiben im Juni, die Welt wohnt in einem Schüttelglas. Eine einsame Flocke lässt sich nicht wegpusten, tanzt von der Nase auf die Hand auf den Fuß, sie hängt an einem. Scheinheilige Pappeln.
Leo erklärt ihm,
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