Das halbe Haus: Roman (German Edition)
die Lider. »Schatz, habe ich etwa geschnarcht?« Er schafft es partout nicht aufzustehen. Er klebt im Sessel und sagt: »Wie eine Wildsau.«
III
DIE FEHLER DER FRAUEN
März 1982 – September 1982
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück.
8. Frauentag
Wie jedes Jahr richtet der Staatsratsvorsitzende eine Grußadresse an alle Frauen und Mädchen anlässlich ihres Feiertages. Diesmal steht der Internationale Frauentag ganz im Zeichen, na, wovon? Richtig: ganz im Zeichen der aktiven Teilnahme der Frauen und Mädchen an der konsequenten Verwirklichung der auf das Wohl des Volkes und die Sicherung des Friedens gerichteten Beschlüsse des X. Parteitages – so und nicht anders, und zwar im Geiste von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. Dank und Anerkennung besonders den Müttern, denn sie haben einen bedeutenden Anteil, und so kämpfen Frauen an vorderster Front, Arbeiterinnen, Genossenschaftsbäuerinnen und Angehörige der Intelligenz, auf dass sich die Persönlichkeit der Frauen weiter und dass sie in noch größerer Zahl mit Nachdruck die Friedenspolitik unseres Staates, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht zu vergessen die antiimperialistische Solidarität mit den Frauen aller Kontinente, mit den Frauen der Sowjetunion sowieso. Festzuhalten ist: Ohne die Frauen wäre der Sozialismus schwer möglich, aber auch umgekehrt gilt: Ohne Sozialismus keine Frauen. Gesundheit, Schaffenskraft, Wohlergehen, durchaus auch im persönlichen Leben, Punkt. Ansonsten keine einzige Frau auf der Titelseite des ND . Dafür ein Foto von Konrad Wolf, dem betrauerten Präsidenten der Akademie, eines vom weit hüpfenden Henry Lauterbach, eines vom Fliegerkosmonauten Sigmund Jähn. Das einzig Weibliche: »Venus-Boden bald künstlich im Labor«.
Anita Ullrich schiebt die Zeitung beiseite und trinkt den letzten Schluck Kaffee. In der Küche riecht es nach dem Kuchen, den sie gestern Abend gebacken hat. Karl schläft noch, und Conny ist schon aus dem Haus. Das Wetter soll schön sein, viel Sonnenschein zu Wochenbeginn. Die Tage werden weiter.
Nachher im Betrieb folgen neue hohle Gesten und Reden. Noch am Vormittag wird man alle Frauen in den Konferenzsaal rufen. Auf dem Weg dahin werden die männlichen Kollegen Spalier stehen, Nelken in der Hand. Mit Kellnergehabe werden sie die Frauen an einer langen Tafel platzieren, Sekretärin neben Ingenieurin neben Pförtnerin neben Chemikerin, und jede wird vor sich eine Konfektschachtel und einen türkisfarbenen Frotteewaschlappen finden. Es muss einen unerschöpflichen Vorrat an diesen Waschlappen geben, jedes Jahr liegen sie aus. Der Kombinatsdirektor wird eine Rede halten, die natürlich ein Echo der Zeitungsrede sein und die Tüchtigkeit der Frau in unserem Land und unserem Kombinat herausstellen wird. Dann Rotkäppchensekt und Eierschecke.
Mit diesen Reden ist es wie mit den Waschlappen: Anita braucht beides nicht. Sie braucht diese ganze Frauentagsparade nicht. Vor ein paar Jahren hat sie gedacht: Wir können das doch besser. Sie hat angefangen, Frauen zu sich nach Hause einzuladen. Solche, die ihr sympathisch sind, die sie schätzt, mit denen sie befreundet ist oder sein will. Daraus ist eine Tradition geworden. Eine Journalistin ist dabei, eine Fotografin, eine Frisörin und manchmal ihre Schwester, die Pfarrerin in Berlin ist. Jede ist berufstätig. Jede bringt etwas zu essen, zu trinken und zu reden mit. Alles kommt auf den Küchentisch, um den sie bis weit nach Mitternacht sitzen: Kuchen, Wein, Kinder, Männer, die Weltlage, die Mühe und die Freude. Sie feiern nur in ihrem und sonst in keinem Namen.
Diesen Brauch hat sie auch nicht aufgegeben, als sie wieder heiratete. Karl weiß, dass er an diesen Abenden unerwünscht ist, meist ertauscht er sich eine Nachtschicht. Conny hilft ein bisschen in der Küche und geht auf ihr Zimmer, wenn es erwachsen wird. Diesmal jedoch wird Anita nur Kolleginnen aus dem Betrieb einladen, genauer: aus ihrer Abteilung. Auch solche, mit denen sie nicht befreundet ist oder sein will. Die regulären Frauen hat sie auf nächstes Jahr vertröstet. Für dieses Jahr hat sie einen anderen Plan.
Im Lauf der Zeit hat sie festgestellt, dass sich Frauen ganz gut zu helfen wissen. In der Not suchen sie das Gespräch, sie verbergen ihren Kummer nicht und fragen einander offen um Rat. Als Holm verunglückte, fand sie Trost bei ihren Freundinnen, und die können sich jederzeit bei ihr ausheulen. Kathrin zum
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