Das halbe Haus: Roman (German Edition)
, sie tut das Ihre.
»Hübsch sein«, sagt Monika und streicht ihr Haar zurück.
»Nein«, sagt Anita. » Schön muss sie sein.« Helga Novak und Simone nicken, und sie notiert »schön«.
»Interessant sollte sie sein«, versucht es Monika erneut. »Und sexy.«
»Wäre ›niveauvoll‹ nicht der bessere Begriff?«, fragt Anita.
Wieder stimmen Helga Novak und Simone zu.
»Er liest viel und interessiert sich für ferne Länder. Englisch und Französisch würde er gern können«, sagt Monika.
»Also jemand Polyglottes«, sagt Anita und denkt: Na bitte, geht doch.
Nach und nach entsteht eine Frau, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat: eine »lebenskluge«, »große«, »modebewusste« Frau, die »kinderlieb« ist. Sowohl im Bikini als auch im Ballkleid soll sie eine gute Figur machen, »musisch«, »polyglott«, »eloquent« und begabt zur Fröhlichkeit soll sie sein sowie einen Sinn für das Übersinnliche haben.
Nachdem Anita die gesammelten Eigenschaften noch einmal vorgelesen hat, meint Inge, dass sie keine Frau kenne, die all das zu bieten habe. »Und überhaupt, das ganze Äußerliche ist doch gar nicht wichtig. Sie muss das Herz am rechten Fleck haben. Ein guter Mensch muss sie sein. Sich selbst nicht so wichtig nehmen.«
»Unwichtig ist das Äußerliche nicht«, sagt Monika.
»Früher haben die Menschen geglaubt«, sagt Dr. Spohn, »dass Schönheit der Beweis einer edlen Seele sei. Das ist natürlich völliger Quatsch. Voltaire war eine Geistesschönheit, aber ein hässlicher Kauz.«
»Oder der Glöckner von Notre-Dame«, sagt Simone.
»Der war eine Herzensschönheit«, sagt Dr. Spohn. »Aber eine hässliche Frau wird nie zu Ruhm kommen.«
»Nehmen Sie Marie Curie«, sagt Inge.
»Oder Édith Piaf«, sagt Simone.
»Oder Helga Hahnemann«, sagt Helga Novak.
»Übrigens finde ich, dass unser Herr Friedrich nun auch nicht gerade ein Belmondo oder ein Delon ist, weder drinnen noch draußen«, sagt Inge.
»Aber darum geht es doch gar nicht«, sagt Anita. »Keine Frau ist vollkommen und auch kein Mann. Entscheidend ist, ob sie es anstreben. Ob sie einen höheren Begriff von sich haben.«
»Finden Sie, dass der Kollege Friedrich einen höheren Begriff von sich hat?«, fragt Dr. Spohn.
Anita kippt ihren Likör herunter. »Ja«, sagt sie.
»Wenn du dich da mal nicht täuschst«, sagt Inge. »Aber gut. Weiter im Programm.«
Anita malt einen Kreis mit abweisendem Pfeil rechts oben auf den Block: das Männlichkeitssymbol. »Mit welchen Eigenschaften schicken wir Frank ins Rennen?«
»Erst einmal brauchen wir Nachschub«, sagt Simone. Sie holt die Flasche Wodka aus dem Kühlschrank, die sie dort deponiert hat. »Hundert Gramm zum Nachdenken«, sagt sie und schenkt reihum ein. Die Frauen stoßen an und trinken. Simone füllt nach, und sie trinken. Anita merkt, wie ihr Elan erschlafft. Vielleicht ist es auch der Widerstand ihrer Kolleginnen, der sie bremst.
Abermals greift sich Helga Novak ein Heft. »Das hier würde mich ansprechen«, sagt sie: »›Narr, 1800 Millimeter lang, 39,9 Lenze jung, kurzes Haar, sucht Närrin.‹«
»Mensch, Helga, kein Wunder, dass du dich immer vergreifst«, sagt Inge. »Du musst dir doch vorstellen, was da zum Vorschein kommt, was das in Wahrheit für ein Exemplar ist. Ich sag’s dir: ein verrückter glatzköpfiger Zwerg von eins siebzig und Ende vierzig. Dann lieber allein bleiben.«
»Und wenn schon«, sagt Dr. Spohn. »Der hat wenigstens einen höheren Begriff von sich.«
»Was also geben wir für Frank an?«, fragt Monika.
»Akademiker«, sagt Dr. Spohn.
»Okay«, sagt Anita und notiert den Begriff rechts neben »Akademikerin«. »Doch was sind seine wesentlichen Eigenschaften? Denkt nach!«
»Ich finde, er ist nicht immer einfühlsam«, sagt Inge. »Denkt oft nur an sich.«
»In der Tat, er ist recht eigensinnig«, sagt Dr. Spohn. »Durchaus auf seinen Vorteil bedacht. Andererseits macht er sehr gute Arbeit. Er weiß oft besser Bescheid als Langrock. Das Probenarchiv hat hauptsächlich er betreut, muss man sagen.«
»Ja, an der einzelnen Sache nimmt er schon Anteil«, sagt Inge, »aber nicht am großen Ganzen.«
»Vermutlich ist er ein Pessimist«, sagt Dr. Spohn.
»Sein Sohn ist ihm wichtig«, sagt Simone. »Er hat ihn allein großgezogen.«
»Das macht ihn noch nicht zum Optimisten«, sagt Dr. Spohn.
»Es würde ihm gefallen, wenn die Natur und die Menschen in unserem Land nicht so vergiftet werden würden«, sagt Monika.
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