Das halbe Haus: Roman (German Edition)
wohl eher eine Krankenschwester, etwa der leicht gehbehinderte Frührentner mit auskömmlichem Wesen oder der Dialysepatient, der wissen wollte, ob sie einen Führerschein und einen PKW besaß.
Besänftigt war sie erst, als sie Karls Brief las. Darin beschrieb er sich als Mann, der bisher immer an die Falsche geraten war. Er war fünf Jahre älter als sie, Dispatcher, Nichtraucher, treusorgend und kinderlieb. Er möge den Wald und suche eine »forstlich interessierte Frau«. Sie war in vielen Bereichen bewandert, nur nicht in diesem. Er ist doch hoffentlich kein Waldschrat, dachte sie. Sie mochte seine einfache Art, und von dem Foto sah sie ein verschmitzter Mann mit vollem dunklem Haar an. Aber Fotos können täuschen. Sie verheimlichen den Zauber, ob faul oder echt, der von einem Menschen ausgeht. Sie hatte folgenden Einfall:
»Lieber Karl, ich habe mich über Ihren Brief gefreut. In vierzehn Tagen findet in Schwerin die Gartenschau statt. Ich lege Ihnen eine Eintrittskarte und einen Busfahrschein bei. Abfahrt ist um neun. Ich werde zusteigen, wenn Sie mir sympathisch sind.« Das Ganze anonym. Auch sie konnte eine lächelnde Xanthippe sein.
Karl gestand ihr später, dass er zwei Wochen lang darüber nachgedacht habe, wie er aus der Ferne auf sie sympathisch wirken könne. Er hatte sich eine blaue Popelinehose gekauft, ein weißes Oberhemd und eine sportliche Windjacke. Gebräunt, stattlich und glattrasiert hatte er den Bus bestiegen, sich suchend und sympathisch umblickend. Sie hielt sich in einem Jasminstrauch versteckt und war unfähig, daraus hervorzutreten. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie Angst hatte. Es ging nicht um den Wald, auch nicht um Sympathie. Es ging um Holm, ihren toten Mann, der sie so endgültig verlassen hatte, wie ein Mensch einen anderen verlassen kann. Aus Angst vor einem neuerlichen Verlassenwerden stand sie in diesem Jasminbusch. Erst kurz bevor der Bus abfuhr, nahm sie diese Angst in beide Hände und warf sie in die Luft.
Mit einem einzigen Klingeln stehen Monika, Dr. Spohn, Inge, Helga Novak und Simone Schmitt vor ihrer Tür. Nachdem sie das Haus begangen, die Katze gestreichelt und Connys Körpergröße bestaunt haben, setzen sie sich an den gedeckten Tisch und werden heiter. Alle Speisen und Liköre werden probiert, man tauscht Rezepte und Klatsch aus. Bis Anita das Wort ergreift.
Sie spricht vom Unglück ganz allgemein und von dem eines einzelnen Mannes. Sie spricht vom Schmieden des Glücks, von der Verpflichtung der Glücklichen, den Unglücklichen etwas von ihrem Glück abzugeben. Sie spricht von der Unfähigkeit der Männer, sich selbst zu helfen, vom Schweigen, Verirren und der Aggression. Sie spricht von ihrem Plan. Als sie geendet hat, muss sie an ihren Vater denken, wie er nach leidenschaftlichen Predigten in der Apsis die Kollekte zählte.
Inge ist reserviert, Dr. Spohn neutral und Monika schlicht nicht begeistert von der Idee, eine Frau für Frank Friedrich zu finden. Der Grund liegt auf der Hand, aber gerade jemand wie sie sollte wertvolle Tipps liefern können. Simone Schmitt und Helga Novak sind voll kupplerischen Eifers.
Anita legt einige Ausgaben des Monatsmagazins auf den Tisch, in dem seinerzeit ihre eigene Chiffre-Anzeige stand und das sie noch immer abonniert. Während sie das Geschirr abräumt, lesen die Frauen die Anzeigen der Rubrik »Treffpunkt«, mal auflachend, mal kopfschüttelnd, mal schluckend.
»Hier, das wäre doch eine«, sagt Simone und liest vor: »›Germanistin, 30/1,70, schlank, heiter, mit Kindern (3 und 5), von großem Liebreiz, sucht Gefährten mit Leiter. Bibliothek vorhanden.‹«
»Oder diese«, sagt Helga Novak, die selbst zum dritten Mal verheiratet ist: »›Triumph der Hoffnung über die Erfahrung! 32, 1,63, dunkel, schlank, geschieden, HSA . Suche toleranten Partner mit Sinn für unbequemes, aber interessantes Leben.‹«
»Nein, nein«, sagt Anita. »Wir müssen selber formulieren, was wir suchen.«
»Was suchen wir denn?«, fragt Dr. Spohn.
Anita nimmt Block und Stift zur Hand. Links oben malt sie einen Kreis mit nach unten weisendem Kreuz auf: das Weiblichkeitssymbol. Darunter setzt sie einen Spiegelstrich und sieht fragend ihre Gäste an.
»Akademiker muss sie sein«, sagt Dr. Spohn endlich.
Ein wenig zögerlich schreibt Anita »Akademikerin« unter das Symbol. Man muss nicht studiert haben, denkt sie. Sie selbst durfte nicht einmal ihr Abitur machen. Hoffentlich delegieren sie Conny in zwei Jahren auf die EOS
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