Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
Vom Netzwerk:
Fleisch, die Milch, die Textilien, selbst die Seife. Während sie aßen und tranken (der Alkohol war frei), präsentierte man ihnen die Schafsdecken und -kissen. Alle kauften, also kaufte sie auch. In Itz ging sie vom Breslauer Platz, wo der Bus alle Rentner entließ, die Maximilianstraße hoch zu ihrem neuen Zuhause. Im Nieselregen trug sie den großen Wollballen, der auf einmal nach Schaf roch, vor sich her und grämte sich über den teuren und nutzlosen Kauf. Doch seit der ersten Nacht schläft sie gut in der Wolle der Lüneburger Schafe. Die eine Nacht schläft sie links, die andere rechts, um die neue Matratze von Betten-Schmidt, Ihrem scheißfreundlichen Bettenfachgeschäft, gleichmäßig zu belasten. Sie schläft tief und erinnert sich nicht an ihre Träume.
    Ins Kopfteil des Betts ist das Radio eingelassen, eines mit Weckfunktion. Täglich um acht Uhr zwölf wird sie davon aus dem Schlaf geholt. Acht Uhr zwölf ist ihr irgendwann zugeflogen. Als sie den Wecker stellen wollte, drehte sich alles auf der Digitalanzeige, dann stand da acht Uhr zwölf, sie hatte nichts dagegen. Sie muss ja nicht mehr früh raus. Sie muss ja nicht mehr Öfen anfeuern, Brote schmieren, ein Kind wecken, einer Arbeit nachgehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben kann sie ausschlafen. Trotzdem ist sie immer müde. Sie denkt an Trude Herr: »Morgens bin ich immer müde, / Aber abends bin ich wach. / Morgens bin ich so solide, / Doch am Abend werd’ ich schwach.« Es liegt bestimmt an der guten Luft, dass sie immer müde ist. Am Frühling vielleicht auch. Vielleicht auch daran, dass sie manchmal abends tanzen geht oder kegeln oder bis in die Puppen fernsieht.
    Es ist gut, wenn sie noch ein wenig ruht, denn heute Nachmittag muss sie frisch sein, da muss sie zum Roten Kreuz wegen Franks Sache. Es ist ein wichtiges Gespräch, so wie alle bisherigen Gespräche in Franks Angelegenheit wichtig waren. Die mit den Katholen, den Evangelen, mit Burgkreuz, Bonn und München. Alles ist wichtig, jeder Kontakt kann zur entscheidenden Information führen, zur gangbaren Brücke werden. So hat es Frank ihr erklärt. Deshalb ist sie auch zu den Schwarzröcken gegangen – sie! Zu den Schwarzröcken! Der Augustinerprior hat sie in seinem Büro empfangen und schweigend zugehört. Als sie geendet hatte, sagte er, der Heilige Vater sei sehr an einem Dialog mit dem Osten interessiert. Zumal er das schlimme Beispiel seines Heimatlandes vor Augen habe, wo ja der Kommunismus verheere und vernichte. Die einzige Egge, die das Unkraut des Kommunismus jäten könne, das sei Jesus Christus. Möge sein Geist erscheinen und das Antlitz der Erde erneuern, das Antlitz des Ostens. – Was sie denn nun tun könne, fragte sie. Sie hatte nicht den leisesten Schimmer, was der Mann ihr sagen wollte. – Bald jähre sich das Attentat auf den Heiligen Vater. Was sie tun könne, sei: beten.
    Sie wirft den Kopf zur Seite und presst die Augenlider zu. Ich bin ein Fisch, denkt sie, ich schwimme im Licht, es müssen Jalousien her. Sie zieht die Decke über den Kopf und betastet die Knöpfe ihres neuen Nachthemds, dessen Biberstoff weich wie Kinderhaut ist. Runter zu sind es immer sieben, hoch zu immer acht Knöpfe. Runter sieben, hoch acht. Einigen wir uns doch auf siebeneinhalb. Das ist eine annehmbare Mitte, damit können ja wohl alle leben, die Achter wie die Siebener.
    Zu Ostern ist sie nicht in die Kirche, sondern auf den Bismarckturm gestiegen und hat das Land und das Städtchen betrachtet. Wie eine Büffelherde rasteten die Panzer in der Garnison, und durch die Flure vor Michelbach schob sich eine Prozession. Griesgelb blühten die Forsythien, am Fuße des Turms suchten Kinder Eier. Von oben konnte man das ganze Itztal überblicken, bis hinüber zu den Weinbergen und den Hügeln konnte man sehen, auf denen weitere Türme standen: der Ludwigsturm und der Wittelsbacherturm. Sie sah die schieferfarbenen Dächer der Stadt, die Spitztürme der Stadtpfarrkirche, den Schindelturm der Marienkirche, die Zwiebeltürme des Augustinerklosters und die schlichten, an Obeliske erinnernden Türme der evangelischen Heilandskirche. Die goldene Kuppel der russischen Kapelle sah sie auch, nur nicht die Ruine der Synagoge. Alle Glocken sprachen miteinander, während die Menschen auf die Plätze strömten, ein buntes Gewimmel. Inmitten der sprießenden Parks waren die Grünspandächer der Badehäuser und des Kasinos kaum zu erkennen. In der Ferne blinkten die Karosserien der Automobile. Helle

Weitere Kostenlose Bücher