Das halbe Haus: Roman (German Edition)
sei besser auf ein Konto gelegt als vor ein Fenster gehängt. Polina zieht die hauchzarten Gardinen zur Seite. Wie schön sie sind.
Unten auf dem Rasen steht bloß die schiefe Dame aus dem siebten. Schief steht sie neben ihrem Dackel, der vor der Rabatte katzbuckelt. Sobald er sein Geschäft erledigt hat, wird sie ihn über den grünen Klee loben und ihm ein Gutli ins Maul schieben. Sie wird das Geschäft wie die Ankunft des Messias feiern, ist doch wahr. Schon im Winter ist Polina aufgefallen, dass dieses Städtchen voller Dackel ist: Allenthalben sah und sieht sie raue, glatte, fette, spitze, watschelnde, trippelnde Dackel. Von ihren Herrchen und Frauchen werden sie Poldi, Waldi und Hexe gerufen und tragen Leibchen mit Schottenmuster und grüne Lederbänder mit silbernen Hirschen. Einer führte sogar ein Mützchen spazieren. In der alten Heimat waren die Hunde scharf gewesen, hatten nur zweimal in der Woche Fressen bekommen und sich in die Ketten geworfen, wenn der Jude oder der Russe oder der Zigeuner kam. Jenseits, in der Zone, wie Bernhard und Liesl und viele hier sagen, kannte sie einen Spitz und einen Pudel, sonst wurde nicht viel Gewese um Hunde gemacht. Diesseits, in Dackelhausen, tragen sie Mützchen.
Sie rennt zurück ins Schlafzimmer, hebelt das Fenster auf, schaut hinunter: Da ist niemand. Es klingelt erneut, und dann hört sie ein Klopfen. Sie schleicht zur Wohnungstür. Die Heiligen Drei Könige werden es ja wohl nicht wieder sein, die sie nach ihrer ersten Nacht in der Prinzregentenstraße besucht hatten. Hartnäckig hatte sie den Kindern die wohltätige Gabe verweigert, und nun steht über ihrer Tür kein Segen. Durch den Spion späht sie ins Treppenhaus und sieht Schatten und Licht. Sie sieht einen spiegelnden Boden und die dunklen Türen der anderen Wohnungen, die auch alle ein Glasauge haben und darüber einen schwarzen Klebestreifen, auf dem mit Kreide 19 * C + M + B * 82 steht. Sie hört, dass der Fahrstuhl abwärtsfährt, und plötzlich schnellt ein Gesicht in ihren Blick, ein rundes, bärtiges Gesicht, in dem die Freude steht. Sie öffnet die Tür einen Spalt, bis die Kette spannt.
»Grüß Gott, Paulina, entschuldigen Sie die Störung«, sagt Hermann Höß und schiebt einen Strauß weißer Rosen durch den Türspalt.
»Hermann«, sagt sie.
»Darf ich reinkommen, Paulina?«
»Ja, nein«, sagt sie. »Ich bin überhaupt nicht auf Besuch vorbereitet.«
»Ich will Sie ja gar nicht besuchen. Ich will Sie entführen.«
»Aber ich«, sagt sie.
»Heut ist so ein schöner Tag«, sagt Hermann. »Wir müssen einen Ausflug machen.« Der Blumenstrauß wandert zu Boden und bleibt liegen.
»Aber ich bin noch nicht so weit«, sagt sie und schreckt zusammen, als er sein Gesicht in den Türspalt schiebt.
»Paulina, Sie sind naturschön. Legen Sie ein Lächeln auf, den Rest erledigt die Sonne. Gestatten Sie mir, dass wir Ihren Tag verzaubern, die Sonne und ich.«
Sie muss an Liesls Warnung denken, dass elegante Kurbäder wie Itz auch immer Männer mit dunklen Absichten anziehen. Kurschatten, Lebemänner, Bel-Amis, die wohlhabenden Damen erst den Hof und dann den Garaus machen. Na ja, wohlhabend ist sie nicht. Sie besitzt ein Caritas-Sofa, ein Bett mit Radio und ein paar altgediente Küchenutensilien. »Woher haben Sie meine Adresse? Ich stehe noch nicht einmal im Telefonbuch.«
»Wenn solch eine Schönheit in unserem verschlafenen Örtchen auftaucht, dann spricht sich vieles herum.«
Sie kennt den Mann kaum, hat ihn nur zweimal gesehen. Das erste Mal beim Tanztee im Kurcafé und das zweite Mal beim Freiluftschach letzte Woche. Er ist ein entzückter Tänzer und ein entzückter Freiluftschachspieler, er heißt Hermann Höß, das ist alles, was sie über ihn weiß. Und dass er einen Jaguar in der Garage stehen hat. Liesl hat es ihr zugeraunt, nach dem Studium seines Schlüssels. Das nun fand sie sehr ungewöhnlich, bis Liesl ihr erklärte, dass es sich bei dem Jaguar nur oder immerhin um ein Luxusauto handle. Im Laufe der Jahre ist Liesl eine unfehlbare Schlüsselleserin geworden, die den Schlüsselbund eines Mannes genau zu deuten weiß. Sie kennt die Embleme der Autohersteller und kann einen 7er-Zündschlüssel von einem 3er unterscheiden. Sie könne sogar von den Haustürschlüsseln auf die Häuser schließen, hatte Bernhard bitter angemerkt.
Ein Jaguar also. »Hermann«, sagt Polina, »geben Sie mir zehn Minuten.«
Die Sitze sind aus kühlem Leder, die Scheiben scheinen leicht getönt zu
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