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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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einem seltsam klingenden Idiom (ob das Russisch war oder Japanisch, kann ich nicht sagen) an Fandorin, der ihn im selben Kauderwelsch antwortete.
    »Ach, Sie sind Schriftsteller?«, fragte mich Miss Eugénie. Als ich mich zu ihr hinabbeugte, flüsterte sie, ohne meine Antwort abzuwarten: »Wie sehe ich aus?«
    »Großartig«, beruhigte ich sie.
    Das war die reine Wahrheit – dank meiner unbeholfenen, aber gewissenhaften Bemühungen sah sie nun deutlich besser aus: Ihr Gesicht wirkte frischer, ihre elegant betonten Lippen lebhaft. Ich hatte offenbar eine Gabe fürs Schminken.
    »Hocken Sie sich zu mir nieder, Sir«, bat Miss Des Essarts den Russen. »Ich möchte Sie genauer betrachten.«
    Diese rührende Direktheit unterstrich die ganze Tragik ihrer Lage mehr als alles andere. Ich sah Fandorins Lippen mitleidig zucken.
    »Zu Ihren Diensten«, sagte er sanft und kniete nieder.
    Eugénie betrachtete ihn eingehend und sagte dann mit derselben entwaffnenden Naivität: »Sie sind sehr schön, Sir. Wissen Sie, früher habe ich davon geträumt, dass mich eines Tages ein solcher Mann liebt – kein grüner Junge, sondern ein reifer, zuverlässiger Mann, aber unbedingt gutaussehend und tadellos gekleidet … Meine Lage hat auch ihre Vorteile, nicht wahr?« Sie lächelte traurig. »Ich kann die unmöglichsten Dinge aussprechen, und niemand nimmt es mir übel.«
    Fandorin antwortete mit einem Scherz, aber ihm war anzusehen, dass er erregt war.
    »Sie werden bald gesund sein, und dann müssen Sie wieder alle Anstandsregeln b-befolgen. Also genießen Sie die Freiheit, solange Sie es können.«
    Sie erwiderte ganz leise: »Sie sind sehr lieb. Alle sind so lieb zu mir. Aber ich weiß, ich fühle es, dass ich nie wieder aufstehen werde.«
    »Was für ein Unsinn!«, rief der hinzugetretene Lebrun (er hatte offenbar ein ausgezeichnetes Gehör). »Wenn Sie sich an meine Anweisungen halten, werden Sie noch auf Bällen tanzen. Genug jetzt, meine Herren! Ihre Gegenwart regt die Patientin zu sehr auf. Außerdem müssen wir mal Pipi. Ich bitte alle, sich zu entfernen.«
    Unerträglich, diese Manier mancher meiner Berufskollegen, über Physiologisches zu schwadronieren!
    Fandorin und ich erhoben uns sofort, bemüht, die arme Miss Eugénie nicht anzusehen, um sie nicht noch verlegener zu machen.
    Ich war, ehrlich gesagt, den Tränen nahe und hatte einen Kloß im Hals. Wäre mir der gemeine Erpresser, der mit dem Leben dieses reizenden Mädchens spielte, in diesem Augenblick über den Weg gelaufen, ich hätte … Ich weiß nicht, was ich mit ihm gemacht hätte.

    Wir ließen den Professor mit seiner Patientin allein und begaben uns hinunter in den Speisesaal, wo Imbiss und Getränke bereits aufgedeckt worden waren.
    Ungeachtet der hinter uns liegenden Aufregungen und der angespannten Situation war ich sehr hungrig, sodass ich mit einigem Appetit der Pastete und dem kalten Braten zusprach. Holmes und Fandorin rührten die Speisen nicht an, Des Essarts brach sich ein Stück Brot ab, aß es jedoch nicht. Hätte der wunderbare Mr. Shibata nicht noch enthusiastischer zugelangt als ich, würde ich mich recht unbehaglich gefühlt haben.
    »Ich habe den Verwalter noch einmal ans Fenster gebeten«, erklärte der Hausherr, »und ihn gefragt, ob der Verbrecher angerufen hätte. Monsieur Bosquot hat den Kopf geschüttelt – die Herren können es bezeugen.«
    Er bemühte sich, seinen Gastgeberpflichten nachzukommen, schenkte Wein ein und verteilte das Besteck, war darin aber offenkundig ungeübt. Er verschüttete Wein, ließ eine Gabel unter den Tisch fallen und zerknüllte Servietten. Niemand eilte ihm zu Hilfe. Die beiden Detektive waren in ihre Gedanken vertieft, und Mr. Shibata und ich waren zu hungrig, um uns ums Servieren zu kümmern.
    Ich war voller Tatendrang. Ich musste nur an die unglückliche Gefangene im Turm denken, und ich kochte vor Wut.
    Da beide Detektive schwiegen, ergriff ich die Initiative.
    »Die wichtigste Frage ist doch: Wie hat Lupin von dem Geheimversteck erfahren? Wir müssen sämtliche Bediensteten herbitten, die schon zu Lebzeiten Ihres Vater im Schloss gearbeitet haben, und jeden eingehend befragen.«
    Der Hausherr hob resignierend die Arme.
    »Daran habe ich auch schon gedacht. Die Köchin für die Bediensteten und einer der Pferdeknechte leben seit fast einem halben Jahrhundert im Schloss. Aber wer kann sich schon an jeden Einzelnen erinnern, der in den letzten vierzig Jahren von hier fortgegangen ist? Der Betreffende

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