Das Halsband des Leoparden
und die Beschreibung der Landschaft im Kapitel über die Eisenbahnreise sind mir aufs beste gelungen. Und als ich die rührende Szene mit dem an den Fußboden gefesselten gelbhaarigen Mädchen noch einmal las, strömten mir Tränen aus den Augen.
Aber bevor ich fortfahre mit der wahrhaftigen Geschichte dieses eleganten Tankas, von mir verfasst im Schloss du Vaux Garni, gebietet die Pflicht der Dankbarkeit, dass ich einige Worte Watson-Sensei widme, der mich dazu anregte, zum Schreibpinsel zu greifen und mir zudem einige wertvolle Ratschläge hinsichtlich des Schriftstellerhandwerks gab.
Als ich hörte, dass dieser ehrenwerte Mann mit seinem Schreiben weit mehr Geld verdient als sein Freund mit seinen Ermittlungen, ereilte mich ein Satori: Das konnte ich auch tun! Fandorin-Dono steht Sherlock Holmes in Verstand und Tapferkeit nicht nach, der Wille meines Herrn ist stark, und sein WEG ist hell und geradlinig. Also beschloss ich: Mag er seinen Kampf gegen die Schurken der Welt fortsetzen, und ich werde ihn nach wie vor mit meinen nichtigen Kräften dabei unterstützen, doch von nun an werde ich alles genau aufschreiben. Ich werde ein wunderbares Buch veröffentlichen, das uns beide auf der ganzen Welt berühmt machen und so viel Geld einbringen wird, dass wir uns zurückziehen und die Schurken der Welt ihrem bösen Karma überlassen können.
Aber Watson-Sensei sagt, Abschweifungen dürfen nicht zu langsein, sonst langweilt sich der Leser, und darum kehre ich zurück zu dem Gespräch beim Essen, das ich im vorigen Kapitel beschrieben habe.
Gerührt von der Feinfühligkeit meines Herrn, der mich den anderen nicht als seinen Diener vorgestellt hatte, sondern als seinen Freund, war ich so aufgewühlt, dass ich beinahe den Appetit einbüßte, aber ich verfolgte sehr aufmerksam die Gespräche, die zum Glück auf Englisch geführt wurden, denn diese Sprache habe ich in den Jahren unseres Aufenthalts in Amerika perfekt gelernt.
»Ist es wahr, dass Sie viel durch den Fernen Osten gereist sind und sogar in Tibet gelebt haben?«, fragte Fandorin-Dono den hakennasigen Holmes.
»Ja. Und ich habe dabei einige wichtige Entdeckungen gemacht. Die wichtigste ist die, dass unsere Seele und unser Körper weit stärker sind, als die Menschen im Westen glauben. Man muss in sich nur den Schlüssel zur Quelle der Kraft finden«, sagte der englische Detektiv, und da wusste ich, dass ich wirklich einen Mann von großer Weisheit vor mir hatte. Ach, was für ein Buch könnte ich darüber schreiben, besäße ich Watsons Talent!
Ich hätte gern noch mehr gehört, doch da mischte sich der Schlossherr ein (ich erwähnte schon, dass sein Gesicht aussieht wie ein Reisfladen und seine Stimme piepsig klingt wie die einer Katze): »Auch Arsène Lupin hat einen eigenen Chronisten, Monsieur Leblanc. Ich finde, ein solcher Schriftsteller gehört ins Gefängnis! Wenn man weiß, wo sich ein Verbrecher versteckt hält, hat man das der Polizei zu melden!«
»Holmes ist ein Meister in der todbringenden japanischen Kampfkunst Bariza«, teilte Watson-Sensei mir mit. »Die ist Ihnen, Mr. Shibata, natürlich vertraut.«
Nein, von der todbringenden Kampfkunst Bariza habe ich noch nie gehört, ich wüsste nicht einmal, mit welchen Schriftzeichen man dieses Wort wiedergeben sollte. Die Worte des Doktors schienenseinem älteren Freund nicht sonderlich zu gefallen – jedenfalls runzelte er die Stirn.
»Arsène Lupin beherrscht ebenfalls irgendein japanisches Jitsu«, meldete sich erneut Desu-San (der Name dieses Mannes ist zu lang, um ihn jedes Mal auszuschreiben). »Er prahlt damit, dass er allein drei Mann verprügeln kann. Mr. Fandorin, ich habe erst auf der Fahrt hierher erfahren, dass Sie kein Amerikaner sind, sondern Russe. Arsène Lupin war auch in Russland, es stand bei uns in der Zeitung, dass er eine Million aus der Staatskasse gestohlen hat. Vermutlich spricht man in Petersburg noch heute davon?«
»Das ist längst vergessen«, sagte mein Herr. »In Russland werden ganz andere Summen aus der Staatskasse gestohlen. Mr. Holmes, ich wollte Sie nach der kriminellen Organisation des Professors Moriarty fragen. In Doktor Watsons Aufzeichnungen ist darüber wenig zu erfahren, aber das Thema k-krimineller Vereinigungen beschäftigt mich sehr.«
»Ich habe mich an Holmes’ Anweisungen gehalten.« Watson-Sensei strich sich über den Schnurrbart. »Er untersagte mir, zu sehr ins Detail zu gehen.«
Der englische Detektiv neigte den Kopf.
»Ich werde Ihnen
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