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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Koffer, tauschte meinen Anzug ebenfalls gegen etwas Altes (vielleicht würde ich ja fallen oder auf dem Bauch kriechen müssen), besuchte die Toilette und hatte nichts weiter zu tun. Bis drei Uhr war noch Zeit. Der Herr saß in einem Sessel, klackte konzentriert mit seinem Jadekranz und betrachtete den seltsamen Code, den er in sein Notizbuch geschrieben hatte. Ich ahnte, dass Fandorin-Dono an einem Plan für das weitere Vorgehen arbeitete, wusste aber nicht, wie dieser aussah. Das heißt, jetzt, da ichdiese Zeilen niederschreibe, weiß ich es natürlich, aber der Sensei hat mich gemahnt: Man darf nicht gleich alles verraten, dann langweilt sich der Leser, und darum schreibe ich vorerst nichts vom Plan meines Herrn. Ich will mich lieber erinnern, woran ich in diesem Moment dachte.
    Ach ja, an die junge Desu-San. Sie tat mir natürlich sehr leid, aber ich überlegte, dass sie trotzdem einen Mann finden würde, selbst wenn sie gelähmt bleiben sollte. Ihr Vater machte sich umsonst solche Sorgen. Sie war hübsch und hatte angenehme Manieren, und das ist die Hauptsache. Viele mochten ihre Unbeweglichkeit womöglich als besonderen Reiz empfinden. Eine gelähmte Schöne gleicht einer erlesenen Statue. Das würde bei vielen Männern nicht nur tiefes Mitleid auslösen, sondern auch sinnliche Erregung – ein guter Same für das Gedeihen einer prächtigen Blume der Liebe. Ich glaube, manch einer würde es begrüßen, wenn das Mädchen obendrein auch die Sprache einbüßte. Dann wäre sie wie geschaffen zur Anbetung. Wenn mein Herr und ich sie erst vor der Explosion gerettet und den allbekannten Schurken gefasst haben, werden sämtliche Zeitungen über die junge Desu-San schreiben, und sie wird berühmt. Ruhm ist ein starker Zaubertrank. Im alten Japan wäre aus dieser wunderbaren Geschichte auf jeden Fall ein Stück fürs Puppentheater geworden.
    Das waren meine Gedanken, während Fandorin-Dono mit seinem Jadekranz hantierte. Ich saß ganz still, um ihn nicht beim Meditieren zu stören. Eine Minute vor drei brach ich die Stille mit den Worten, es sei Zeit, sich in den Speisesaal zu begeben.
    Wir gingen hinunter, und Desu-San führte uns durch das Haus, damit wir den Ort fanden, wo der gerissene Lupin seine schreckliche Bombe versteckt hatte.

    VII

    Die Schlossbesichtigung erinnerte an einen Rundgang durch ein Raritätenkabinett. Monsieur Des Essarts ging voran, unablässig redend, sich alle Augenblicke umdrehend und wild gestikulierend, weshalb er ständig stolperte und zweimal beinahe die Treppe hinabgestürzt wäre. Ihm folgten Fandorin und sein Japaner, dann ich und am Ende der Prozession Holmes, der hin und wieder in einer verborgenen Ecke stehenblieb, sodass wir auf ihn warten mussten.
    Zu Zeiten von Des Essarts senior musste das Schloss voller Absonderlichkeiten gewesen sein, doch auch jetzt gab es noch genug zu zeigen und zu erzählen.
    Bereits zuvor hatte ich beim Gang durch das Billardzimmer entdeckt, dass sämtliche Wände mit exotischen Tötungsinstrumenten aus den entlegensten Winkeln der Erde gespickt waren. Dort hingen Bumerangs, ein Eichenknüppel mit Haifischzähnen, ein Indianermesser zum Skalpieren, eine Eskimoharpune aus Knochen.
    Im nächsten Raum fiel mir ein ungewöhnlicher Kronleuchter in Form eines Ballons mit geflochtener Gondel auf. Der Hausherr erklärte, seine Mutter habe aus Angst vor einem Brand nie erlaubt, ihn anzuzünden, doch nun, da es die Elektrizität gebe, brauche man nichts mehr zu befürchten – und er demonstrierte voller Stolz die wunderbar ungefährlichen gläsernen Glühbirnen.
    Holmes’ Beispiel folgend, widmete ich meine Aufmerksamkeit weniger den Erzählungen des Hausherrn als der Umgebung. Ich klopfte Wände und Fußböden ab und betastete die winzigsten Vorsprünge und Unebenheiten.
    Im ersten Stock passierten wir einen kleinen Salon mit einer Sammlung getrockneter Skorpione (»Papa fand sie schön.«); das große Schlafzimmer mit einer detaillierten Karte des Sternenhimmels an der Decke (»Papa kannte sämtliche Sternbilder.«); denWintergarten mit Bonsaibäumen und einer sehr großen, aber defekten Modelleisenbahn (»Hier verbrachten Papa und ich viele Stunden.«); ein Kabinett, an dessen eine Wand Bücherregale gemalt waren (»Papa fand das amüsant.«). Der erste Stock des runden Turms hatte zu »Papas« Zeiten einen Sonnentempel beherbergt, nun wurden dort juristische und finanztechnische Papiere aufbewahrt.
    Im zweiten Stock befanden sich fast ausschließlich die

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