Das Halsband des Leoparden
Selbstwertgefühl quälendes Ereignis schildern, durch das ich für eine Weile den Ermittlungen fernbleiben musste.
Das geschah folgendermaßen.
»Womit fangen wir an?«, rief ich. »Sagen Sie, was ich tun soll, ich möchte Ihnen gern nützlich sein!«
»Erinnern Sie sich an den Fall des verschwundenen Kassierers vom letzten Jahr?« Holmes lächelte geheimnisvoll.
»Aber natürlich. Sie haben auf Anhieb bewiesen, dass der Kassierer keineswegs mit den Tresorschlüsseln verschwunden war, und zum Beweis öffneten sie den Tresorraum, wo das Geld vollzählig und unversehrt lag. Bei dieser glänzenden technischen Operation benutzten Sie mein Stethoskop.«
»Das ich Ihnen nicht zurückgab, weil es vollkommen unbrauchbar geworden war.«
»Ja, das sagten Sie. Aber ich habe mir von der Prämie der Bank ein neues gekauft. Ach, das war ein unvergesslicher Anblick.« Ich lachte. »Wie ein routinierter Arzt, der einen Kranken untersucht, lauschten Sie auf die Geräusche des Schließmechanismus, und wir alle standen mit angehaltenem Atem dabei. Ein wahres Konsilium! Die Idee, ein Stethoskop zu benutzen statt, die gepanzerte Tür aufzubrechen, war genial!«
»Ganz so einfach ist das nicht.« Holmes lachte. »Sonst würdensich alle Einbrecher mit Stethoskopen ausrüsten und sämtliche Tresore im ganzen Land ausräumen. Ein kleines Detail verschwieg ich den Reportern. Ich ersetzte die Membrane in Ihrem Stethoskop durch eine von mir selbst konstruierte. Sie besteht aus sehr dünnem Glas und verfügt über einen extrem hohen Vibrationseffekt. Dadurch konnte ich den Schließcode richtig bestimmen.«
»Sie wollen sagen, Lupins Brief enthält den Code eines Schlosses?« fragte ich.
»Nein. Ich will sagen, dass sich das Stethoskop in meinem Reiselaboratorium befindet und uns erneut gute Dienste leisten wird.«
»Wie denn?«
»Ganz einfach. Was ist eine Bombe, die zu einer ganz bestimmten Zeit explodieren soll? Nichts anderes als eine Dynamitladung mit einem Uhrwerk. Und was tut eine Uhr?«
»Sie geht«, antwortete ich nach kurzem Überlegen.
»Und was noch?«
»Tja, ich weiß nicht. Sie tickt.«
»Genau!« Holmes lächelte noch breiter. »Irgendwo in einem geheimen Raum oder einer Nische tickt eine Uhr. Mit dem bloßen Gehör kann man dieses Geräusch natürlich nicht wahrnehmen. Aber wenn man weiß, wo man suchen muss, kann man mein verbessertes Stethoskop an die verdächtige Fläche legen, und ich versichere Ihnen, die Glasmembran ortet das Ticken sogar durch eine Wand hindurch – denn in jeder Wand gibt es irgendwo einen Spalt, und sei er noch so klein.«
»Wissen wir denn, wo genau wir das Stethoskop anlegen müssen? Sie können doch nicht das gesamte Haus abhören, das würde Tage dauern!«
»Sehe ich etwa aus wie ein Idiot?« Holmes tat beleidigt, doch in seinen Augen glommen fröhliche Funken. »Erstens kann sich die Höllenmaschine nur im Keller befinden. Sie verstehen nichts von Architektur, sonst wäre Ihnen das auch klar. Im runden Turm lässtsich die Bombe nirgends verstecken. Der Turm ist nicht unterkellert. Befände sich die Bombe in einer der drei Etagen des Haupthauses, würde bei einer Explosion der Turm stehen bleiben. Doch gerade auf dem Turm, genauer gesagt, auf der Gefangenen darin, beruht die abscheuliche Erpressung. Das Dynamit muss also unten liegen, im Fundament. Nur so stürzt bei einer Explosion das gesamte Gebäude mitsamt dem Anbau ein.«
»Na schön. Aber der Keller ist groß. Er hat mehr als ein Dutzend Räume und Gott weiß wie viele Flure und Gänge!«
»Um das Château in die Luft zu sprengen, braucht es eine Dynamitladung von mindestes fünf Kubikfuß. Ich habe mir bei der Besichtigung des Kellers alle Orte eingeprägt, wo von der Bauweise her ein Hohlraum dieser Größe liegen könnte. Es sind neunundzwanzig an der Zahl. Lassen Sie mich jeden davon eine Minute lang abhören, und ich sage Ihnen, ob die Bombe dort liegt oder nicht.«
»Nur neunundzwanzig Minuten!«, rief ich. »Plus die Wege, macht vierzig! Und das Versteck ist gefunden!«
»Oder, und das ist am wahrscheinlichsten, es stellt sich heraus, dass nirgendwo eine Bombe liegt.« Holmes lachte spöttisch. »Im Gegensatz zu Monsieur Des Essarts bin ich nicht geneigt, dem Ehrenwort eines Gauners Glauben zu schenken. Ich werde den Keller ›diagnostizieren‹ und unserem Klienten dann garantieren, dass es im Schloss keine Höllenmaschine gibt. Zum Beweis werde ich das neue Jahr im Haus begrüßen, und morgen früh fangen wir
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