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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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mich zusammenzucken ließ. Das Telefon schrillte.
    »Das ist er!«, rief Holmes. »Er will uns verspotten!«
    Er rannte zum Apparat und griff nach dem Hörer.
    »Hallo?«
    Es war sehr still im Speisezimmer, und ich vernahm undeutliches Gemurmel, konnte aber keine einzelnen Worte verstehen.
    »Es ist Des Essarts«, verkündete Holmes, die Hand auf dem Hörer. »Er will wissen, was passiert ist. Bosquot ist nicht zurückgekommen. Das Licht war aus, das Telefon funktionierte nicht. Er saß allein im Dunkeln und hatte Angst … Die hat er auch jetzt noch … Watson! Nehmen Sie den Hörer. Murmeln Sie etwas Mitfühlendes, aber antworten Sie nicht auf seine Fragen!«
    Wenn er in diesem Ton mit mir spricht, weiß ich: Ich muss gehorchen, ohne Erklärungen zu verlangen.
    Holmes hatte seine Energie wiedererlangt, und das freute mich ungeheuer.
    »Folgen Sie mir bitte!«, forderte er den Japaner auf und rannte in den Flur hinaus.
    Shibata sah den Russen an, der nickte. Dann erst folgte der Asiat Holmes.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll! Alle haben mich verlassen! Er wurde getötet, ja? Ist er tot? Aber Lupin tötet doch nie!«, jammerte es aus dem Hörer.
    »Hmhm«, grunzte ich hin und wieder.
    Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Flur, wo Holmes und Shibata verschwunden waren. Auch Fandorin schaute in diese Richtung.
    »Professor! Mr. Lebrun!«, rief Holmes laut. Mein Freund schien noch unten an der Treppe zu stehen.
    Offenbar hörte ihn der Franzose im Turm und antwortete, denn Holmes rief genauso laut: »Nein, nein, alles in Ordnung! Aber Mr. Shibata hat eine Verletzung im Gesicht. Könnten Sie sich darum kümmern?«
    Kurz darauf kehrte Holmes zurück ins Speisezimmer, allein.
    »Ausgezeichnet«, sagte er, als er sah, dass ich noch immer den Hörer am Ohr hatte. »Lassen Sie ihn nicht auflegen, lassen Sie ihn reden. Jetzt haben wir beide unter Kontrolle, sie können uns nicht mehr belauschen. Ich habe das Zettelschreiben schon langsam satt.«
    Der Leser weiß ja bereits, dass Holmes und ich die Tricks von Monsieur Lupin längst durchschaut hatten, Fandorin aber schien verblüfft.
    Ich vermutete, er würde nach dem Belauschen fragen, aber der Russe war offenbar aus einem anderen Grund überrascht.
    »Sie verdächtigen Des Essarts? Nicht den Verwalter?«
    »Um Himmels willen, was soll ich tun?«, piepste Des Essarts mir ins Ohr – oder derjenige, der sich für den Schlossherrn ausgab. »Soll ich hierbleiben?«
    »Ja«, antwortete ich.
    Holmes verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. Fandorin mochte die stärkeren Fäuste haben, doch nun würde sich zeigen, wessen Verstand der stärkere war.
    »Aber Sir, ist Ihnen nicht klar, dass Des Essarts und Bosquot ein und derselbe Mann sind? Er ist ein äußerst gerissener Betrüger mit hervorragenden schauspielerischen Fähigkeiten. Er kann unglaublich schnell die Maskierung wechseln. Nur eines kann er nicht: sichteilen. Ist Ihnen etwa entgangen, dass wir den Hausherrn und den Verwalter nie gleichzeitig zu Gesicht bekommen haben? Einer der beiden war unter dem einen oder anderen Vorwand stets abwesend.«
    Fandorin protestierte.
    »W-warten Sie, aber Masa und ich haben doch mit eigenen Augen gesehen, dass Bosquot im Pferdestall am Fenster stand, und Des Essarts war bei uns und sprach mit ihm!«
    »Aber Bosquot sagte kein Wort, er schüttelte nur den Kopf, nicht wahr? Und da er hinter der Fensterscheibe stand, sahen Sie nur eine Silhouette mit der auffallenden Frisur?«
    Der Russe nickte. Der Anblick seiner verwirrten Miene war ein Hochgenuss.
    »Was, was?«, sagte ich in den Hörer.
    »Das war der Professor mit einer Perücke. Just zu dieser Zeit hatte er den Turm verlassen, angeblich wegen eines Telefongesprächs. Die Täter sind zu zweit, Sir: ›Lebrun‹ und ›Des Essarts‹. Das liegt auf der Hand.«
    Holmes holte seelenruhig seinen Tabak und seine Pfeife heraus. Den besiegten Fandorin sah er nicht an.
    »Ich habe sofort vermutet, dass sämtliche Räume im Haus abgehört werden«, fuhr mein glänzender Freund fort und zündete ein Streichholz an. »Schauen Sie sich nur die seltsame Lage der Lüftungsöffnungen an – sie liegen genau in Mannshöhe. Wegen der besseren Hörbarkeit. Und dann führte ich ein kleines Experiment durch, das meine Hypothese bestätigte …«
    »Nein, hier ist Doktor Watson, und ich höre Ihnen aufmerksam zu«, sagte ich in den Apparat. »Und Mr. Holmes schreibt jedes Wort mit, lassen Sie sich also nicht ablenken, reden Sie weiter.«
    Was

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