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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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leben? Ja, wahrhaftig. Da, Sir, nehmen Sie einen Schluck.«
    Der Heizer reichte ihm seine Flasche. Fandorin mochte ihn nicht kränken, obwohl der Flasche ein unvorstellbarer Fuselgestank entströmte, darum tat er, als ob er tränke. Dabei ließ er die Waggons nicht aus dem Auge.
    Der Personen- und der Postwagen waren unversehrt und ohne ein einziges Einschussloch. Dafür erinnerte der wunderbare Salonwagen an ein vergoldetes Teesieb – er war total durchlöchert.

    Colonel Star

    Bis Crooktown blieb Fandorin auf der Lok, denn in den zerschossenen Wagen mit dem Leichnam des unglücklichen Steward zurückzukehren hatte er keine Lust. Außerdem erbrachte die Unterhaltung mit der Lokbesatzung ein paar nützliche Informationen.
    So erfuhr er, dass Crooktown das letzte Bollwerk der Zivilisation sei. Ihren Namen habe die Stadt nach dem großen General Crook erhalten, dem Besieger der Indianer. Dort ende die Bahnstrecke, dahinter seien nur noch die Berge, an deren Fuß winzige Städtchen ohne Gesetz und Ordnung lägen; die Bewohner seien kaum besser als die wilden Rothäute. Ohne triftige Gründe fahre kein normaler Mensch dorthin.
    Von Fandorins eventuellem Klienten Maurice Star sprachen die Eisenbahner mit großem Respekt. Enorm reich, beschäftige er Tausende von Menschen, die alle zufrieden seien, denn er bezahle sie gut. Ein echter Gentleman. Wenn er wolle, könne er Gouverneur werden, doch er wolle nicht, denn er sei ständig unterwegs, in den Black Hills habe er Kohlebergwerke und Goldminen und in den Rocky Mountains Silbergruben.
    Über dem Geplauder verging die restliche Fahrt wie im Flug. Einmal schaute Masa vorbei, noch immer so nackt, wie seine Mutter ihn geboren hatte, um sich nicht die Sachen einzudrecken. Er brachte eine Flasche Wein und einen fabelhaften gekochten Schinken, dessen Seite ein wenig mit dem Blut des verblichenen Stewards bespritzt war. Fandorin verzichtete auf diesen Imbiss, doch die Eisenbahner schnitten mit dem Messer etwas ab und speisten mit Appetit.
    Endlich sahen sie vorn ein gewaltiges Schild mit der stolzen Inschrift »GRÖSSTE HAUPTSTADT DES COUNTY WYOMING. 2132 EINWOHNER«, dann Häuser und die Bahnstation.
    Auf dem Bahnsteig wartete eine riesige Menschenmenge, offenbar die gesamte Einwohnerschaft der »größten Hauptstadt«. Der Postmeister des Zugs hatte von einem Haltepunkt ein Telegramm aufgegeben und den Vorfall mit der Bande gemeldet, und die Crooktowner wollten nun den überfallenen Zug sehen.
    »Wie Helden empfangen sie uns.« Der Lokführer straffte sich, zog den Gehrock über die Arbeitssachen und ließ die Uhrkette aus der Tasche gleiten.
    Der Heizer hatte nichts zum Herausputzen, er zwirbelte einfach den Schnauzbart und setzte den speckigen Hut schräg.
    »Mr. Star gibt sich selbst die Ehre. Dann soll er mal schauen, wie die Schwarzen Tücher seinen Waggon verziert haben. Den Sie angucken, ist der Bürgermeister, der Colonel steht dort, abseits von allen, sehen Sie?«
    Um den Mann, auf den der Heizer mit seinem schwarzen Finger zeigte, wurde tatsächlich eine respektvolle Distanz gewahrt, die er jedoch nicht zu bemerken schien.
    Maurice Star, groß, hager, mit grauem Ziegenbart, war ein genaues Abbild von »Uncle Sam«, nur trug er eine Brille. Die langen Arme gekreuzt, musterte er konzentriert den verunstalteten Waggon; Fandorin würdigte er keines Blicks. Verständlich. Wem wäreschon in den Sinn gekommen, dass das verdreckte Schreckgespenst auf dem Trittbrett der berühmte Bostoner Detektiv sei?
    Masa hingegen, der mit der Würde einer Person von königlichem Geblüt den Bahnsteig betrat, hatte sich gewaschen und umgezogen. Er trug einen sandfarben karierten Anzug, dazu einen Strohhut und weiße Gamaschen und hielt den Stock seines Herrn in der Hand.
    Der Colonel kam ihm mit liebenswürdigem Lächeln entgegen, blieb jedoch plötzlich stehen und schob die Brille zurecht, denn er hatte nicht erwartet, dass »Mr. Fendorin« ein Asiat sei.
    Fandorin erlöste seinen Kunden aus der Verwirrung, indem er vortrat und sich vorstellte.
    »I beg your p-pardon for this attire«, fügte er verlegen hinzu. «You can see for yourself, that the final leg of my journey was not exactly a picnic.« 2
    Colonel Star wandte sich dem unansehnlichen Fandorin zu und sagte auf einmal in reinstem Russisch: »Du meine Güte! Wie sehen Sie denn aus! Entschuldigung, ich weiß Ihren Vatersnamen nicht.« »Petrowitsch. Erast Petrowitsch«, antwortete der nach kurzer Verblüffung. »Sie haben wohl

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