Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Tschernyschewskis. Die jungen Leute hätten ihr Phalanstère lieber in der Heimat geschaffen, aber das war nicht ungefährlich. Über ihrem Abgott Tschernyschewski schwebte schon der Schatten der Peter-Pauls-Festung, und die Hitzköpfe unter den Nihilisten begannen von Tyrannenmord zu tuscheln. Die künftigen Siedler hingegen sahen sich nicht als Zerstörer, sondern als Erschaffer, und sie glaubten hoch und heilig an den gewaltlosen Widerstand gegen das Böse.
    »Sie haben übrigens recht daran getan, auszuwandern. Rechtzeitig«, bemerkte der Colonel. »Nach dem Schuss Karakosows wären sie allesamt in die sibirische Katorga geschickt worden.«
    Ursprünglich waren es zwanzig Siedler gewesen: vierzehn Männer und sechs junge Frauen. Sie wollten eine Zelle der neuen Lebensordnung gründen, die auf ehrlicher und gesunder Arbeitberuhen sollte. Ohne Ausbeutung, ohne familiäre Sklaverei. Alles sollte der Gemeinschaft gehören: Land, Vieh, Geräte, Kinder. Nur Kleidung, Schuhwerk und Toilettengegenstände sollten persönliches Eigentum sein.
    Zum Vorsitzenden wurde ein gewisser Kusma Lukow gewählt. Er verstand als Einziger unter all der städtischen Jugend etwas von Landwirtschaft, denn er war der Sohn eines Müllers und hatte an der Peter-Akademie für Landwirtschaft studiert.
    Etwas Geld besaßen die Träumer, denn einige von ihnen kamen aus guten Familien. Die Siedler hätten also durchaus ein fruchtbares Landstück irgendwo im wohnlicheren Osten erwerben können, aber Eigentum an Grund und Boden widersprach ihren Anschauungen, darum zogen sie in den wilden Westen, nach Montana, wo das Land frei und herrenlos war.
    »Erstaunlich, dass die Rothäute sie nicht umgebracht haben. Unsere Idioten hatten ja nicht mal Waffen.« Der Colonel kraulte sich den Spitzbart. »Dafür kann ich nur eine Erklärung anbieten: Bei den Sioux-Indianern gehört es sich nicht, Minderbemittelten etwas zuleide zu tun.«
    Die neuen Farmer waren unerfahren, dafür aber fleißig, und die Erde, die niemals einen Pflug erlebt hatte, war fruchtbar. Die Farm fing langsam an zu florieren, doch da brach das Unglück herein. Ein gewissenloser Geschäftsmann nutzte die Sorglosigkeit der Siedler aus und ließ das bebaute Land auf seinen Namen eintragen, denn juristisch gehörte es niemandem. Die Anhänger Tschernyschewskis mussten gehen und ihre Gebäude und die nicht eingebrachte Ernte zurücklassen. Ihre Lage war verzweifelt. Da kam der Colonel Maurice Star seinen Landsleuten zu Hilfe. Er hatte damals als Unternehmer schon einige Erfolge errungen.
    »Ich habe zu der Zeit hier in der Nähe eine Eisenbahnstrecke gebaut. Und den Pechvögeln geholfen, sich im Dream Valley niederzulassen. Ich dachte: Das ist ein stilles Plätzchen, abseits gelegen,da rührt sie keiner an. Für Landwirtschaft ein Paradies. Der Besitzer wäre damals bereit gewesen, das ganze Tal für ein Butterbrot zu verkaufen, aber unsere Schlauberger wollten ja kein Eigentum!« Der Colonel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Na schön, sie nahmen das halbe Tal in langfristige Pacht. Bauten Roggen an und züchteten Schafe. Lebten sich ein, bauten Häuser. Nannten ihre Kommune ›Lichtstrahl‹ 3 . Aus Russland kamen ebensolche Narren zu ihnen. Die Sache lief ganz gut, natürlich nicht ohne meine Hilfe. Ein rationales Paradies, wie es Tschernyschewski vorgeschwebt hatte, wurde nicht daraus, doch dafür gab es Gleichheit und Brüderlichkeit im Überfluss. Geld existiert innerhalb der Kommune überhaupt nicht. Der Vorsitzende ist der Einzige, der manchmal aus dem Tal herauskommt. Er verkauft die Produkte und beschafft für den Erlös alles, was auf der Farm gebraucht wird. Alle arbeiten gleichberechtigt. Wenn einer Herausragendes leistet, wird er einer besonderen Ehre gewürdigt: Sein Name wird feierlich auf der Vollversammlung genannt. Eine spezielle Belohnung gibt es nicht, nur die Begeisterung der Kameraden.«
    »Ihr Lächeln und Ihr humoristischer Ton lassen vermuten, dass das Leben der S-Siedler wohl doch nicht ganz ungetrübt verläuft«, bemerkte Fandorin, der den Erzähler im Spiegel beobachtete, während Masa ihn geschickt mit seinem superscharfen japanischen Dolch rasierte.
    »Verstehen Sie, es hat sich gezeigt, dass es bedeutend leichter ist, die finanziellen Beziehungen abzuschaffen als die zwischen den Geschlechtern. Wer hätte das gedacht?« Der Colonel spielte einfältiges Staunen. »Die Idee des nichtfamiliären Zusammenlebens ließ wunderliche Schösslinge sprießen. Zuerst

Weitere Kostenlose Bücher