Das Halsband des Leoparden
lange in Russland gelebt?«
Der Colonel lachte.
»Ich bin Russe. Maurice Star bin ich erst in den Vereinigten Staaten geworden. In diesem Land kann man nicht Mawriki Christoforowitsch Starowosdwishenski heißen. Wer sich so vorstellt, wird derweil im Galopp überholt oder gar abgeknallt. Hier hat man nicht die Zeit, sich zu verplaudern.«
Mit ein paar schnellen Schritten war er am Zug und betrachtete ihn mit einem alles erfassenden Blick.
»Wie ich sehe, war das Telegramm nicht ganz exakt. Die Banditen haben nicht den Zug überfallen, sondern meinen Waggon. Sicherlichhaben sie mich darin vermutet. Der Freikauf hätte mich ein rundes Sümmchen gekostet …« Mawriki Christoforowitsch Starowosdwishenski legte reuig die Hand an die Brust. »Verzeihung. Wegen mir hätten Sie fast das Leben verloren. Ich werde Ihnen den erlittenen Schaden bei der Abrechnung vergüten.«
Fandorin war drauf und dran zu antworten, der ruinierte Anzug habe 99 Dollar gekostet, doch das wäre unpassend gewesen, denn eben wurde der arme Steward aus dem Waggon getragen. Die Gaffer drängten näher und beglotzten den Toten.
»Schade um Stanford.« Der Colonel nahm den Zylinder ab. »Drei Kinder … Ich werde natürlich für sie sorgen, aber der Vater ist nicht mit Geld zu ersetzen.«
Doch die Stimmung dieses Herrn wechselte rasch. Eben noch hätte er fast eine Träne vergossen, und schon musterte er Masa neugierig.
»Das ist wohl Ihr Gehilfe? Ich habe in der Zeitung über Sie gelesen, mein Herr. Verstehen Sie russisch?«
Er drückte dem Kammerdiener die Hand. Der lüpfte mit wichtiger Miene die Kreissäge und verbeugte sich.
»Gut, meine Herren. Beeilen wir uns. Der Wagen wartet.«
Es war zu spüren, dass der ehemalige Mawriki Starowosdwishenski in der Tat nicht gewohnt war, sich zu verplaudern.
»Wollten Sie gerade mich engagieren, weil ich auch Russe bin?«, fragte Fandorin, als sie von der Station aufbrachen.
»Es geht nicht um mich.« Der Colonel lenkte die offene Equipage selbst, und das sehr geschickt. »Die Nationalität eines Menschen ist mir egal, wenn er nur seinen Beruf beherrscht. Aber die Einwohner von Dream Valley sehen das anders. Sie hegen Misstrauen gegen die Amerikaner. Vertrauen haben sie nur zu ihresgleichen, zu geborenen Russen. Über Dream Valley informiere ich Sie später. Jetzt fahren wir erst mal zu mir. Reden können wir, wennSie gewaschen und umgezogen sind. Über sich brauchen Sie mir nichts zu erzählen, ich weiß Bescheid, dank der Presse. Wenn Sie gestatten, sage ich ein paar Worte zu meiner bescheidenen Person. Damit Sie meine Beweggründe verstehen.«
Er erzählte während der Fahrt von sich. Knapp, doch klar.
Er begann mit einer unerwarteten Frage: »Haben Sie Tschernyschewski gelesen? Den Roman ›Was tun?‹.«
»Ja. Auf dem G-Gymnasium.«
»Ich erst hier in Amerika. Und ich war verblüfft – das Buch ist gewissermaßen über mich geschrieben. Erinnern Sie sich, wie Lopuchow nach Amerika fährt? Und an den ›vernünftigen Egoisten‹? Ich hatte diese Formel schon als Student für mich gefunden. Gut leben auf der Welt kann ich erst, wenn ich nicht mehr von Armen und Elenden umgeben bin. Und das ist nicht für sie notwendig, sondern für mich. Für meinen moralischen Komfort. Andernfalls rutscht der Bissen Brot nicht, wie viel Butter man auch draufschmiert.« Der Colonel lachte auf. »Ich war ein prächtiger Jüngling, nur viel zu arithmetisch. Ich wollte alle Menschen einander angleichen, in die Formel ›Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit‹ zwängen. Ich wollte mein Leben dem Kampf gegen die Leibeigenschaft weihen. Aber die Bauern hat Väterchen Zar auch ohne mich befreit. Da bin ich nach Amerika gegangen, um für die Befreiung der dunkelhäutigen Sklaven zu kämpfen. Lachen Sie nicht«, sagte er, obwohl Fandorin gar nicht daran dachte, zu lachen. »Ich war zwanzig Jahre alt. Das größte Buch, das ich zu jener Zeit las, war ›Onkel Toms Hütte‹. Tränen habe ich darüber vergossen.«
Er prustete über sein damaliges Gutmenschentum, und Fandorin nutzte die Pause zu der Frage: »Und w-warum nennt man Sie Oberst?«
»Wissen Sie, während des Krieges zwischen den Nord- und den Südstaaten bekamen die Freiwilligen provisorische Dienstgrade, sogenannte Tapferkeitsränge. Soldaten gab es viele, doch Berufsoffizierenur wenige. Na, und da habe ich mich hochgekämpft bis zum Colonel. Ich war dumm und mutig. Mit zwanzig fürchtet kaum einer den Tod.«
Diesen Gedanken vernahm Fandorin heute
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