Das Halsband des Leoparden
lediglich die untere Gesichtshälfte mit schwarzen Tüchern verhüllt.
Eisenbahnräuber, jawohl. Die Zeitungen schrieben öfter über sie. Sie stoppten Züge, plünderten die Fahrgäste aus, sprengten den Postwagen mit Dynamit und verschwanden dann in der Prärie, und dort suche sie mal einer.
Die Reiter – mindestens ein Dutzend – waren schon auf gleicher Höhe mit dem Waggon. Sie ritten schneller als der Zug, und ausgerechnet jetzt fuhr die verdammte Lok langsamer.
Vor den anderen her sprengte ein Mann auf einem großen Schimmel. Als er im Fenster den Fahrgast sah, feuerte er sein Gewehr ab – Fandorin konnte sich grade noch wegducken.
Die Kugeln verwüsteten alles: Die Spiegel zerklirrten, die chinesischeVase auf dem kleinen Tisch zersprang, eine Diwanfeder piepste kläglich.
Fandorin verzog sich, bald springend, bald kriechend, ins Speisezimmer. Hier fand er ein Bacchanal der Zerstörung. Direkt vor ihm plumpste ein vom Nagel gerissenes Bild zu Boden. Der Tisch war mit den Scherben des Geschirrs übersät, aus dem getroffenen Teekessel strömte dampffauchend heißes Wasser.
Noch ein Sprung, und Fandorin war im Badezimmer, aus dem sonderbare Töne drangen wie Glockengeläut: bsing! bsing!
Auf dem Fußboden lag platt und reglos der Steward. Sein gestärktes Chemisette war voller Blutflecke.
Der Japaner war nicht zu sehen.
»Masa!«, schrie Fandorin verzweifelt. »Lebst du?«
»Ich bin hier, Herr!«
Über dem Wannenrand zeigte sich der igelhaarige Kopf und verschwand gleich wieder, denn die nächste Kugel traf die Bronze: bsing!
»Wo hast du die Reisetasche hingetan? Da ist mein Revolver drin!«
Aber was konnte der Herstal in solcher Situation ausrichten? Für gezieltes Schießen war die Entfernung zu groß, und wie sollte man zielen können bei dem Gerüttel?
Der Zug, anstatt Dampf zu machen und die Verfolger abzuschütteln, fuhr immer langsamer.
Der vorderste Reiter schüttelte gegen den Lokführer drohend die Faust, und als Antwort kreischten ängstlich die Bremsen. »So wird das nichts«, murmelte Fandorin und verzog das Gesicht, als ein Querschläger winselnd von der Wanne abprallte. »Masa, schaff richtige Waffen her! Im Personenwagen sind Gewehre!«
Der Japaner sprang leichtfüßig aus der Bronzeschüssel, wobei er seinen Herrn mit Wasser vollspritzte, und patschte durchs Speisezimmer, rund und elastisch wie ein Ball.
Fandorin stürzte in die andere Richtung, zur Lokomotive.
Am Ausgang des Wagens bohrte sich ein Mahagonisplitter in seinen Hals, den eine Kugel aus der Tür gerissen hatte. Fandorin zog ihn heraus und berührte verdrossen den blutverschmierten Kragen. Dann schätzte er den Abstand zum Führerhaus.
Er musste den mit Kohle vollgeschütteten Tender überwinden, etwa ein Dutzend Yards. Aber im weißen Lanzetti-Anzug über die Kohle?
Die nächste Kugel, die die Laterne über seinem Kopf zerscherbte, setzte seinem Zaudern ein Ende. Der Schimmelreiter jagte in schnellem Trab am Fuß des Bahndamms entlang und ballerte mit seiner Winchester auf ihn.
Fandorin tauchte wie ein Fisch in die Kohlekrümel. Die Eisenwände des Tenders boten vorzügliche Deckung.
Knie und Ellbogen an Anthrazitstücken aufschürfend, brauchte er eine halbe Minute bis zum Führerhaus. Mit einem Fluch sprang er dröhnend auf den eisernen Fußboden und stand nun hinter dem Lokführer und dem Heizer.
Die heulten auf vor Entsetzen und rissen die Hände hoch.
»Nicht schießen!«, schrie der schwarz verschmierte Heizer mit überkippender Stimme. »Wir bremsen ja, aber das geht nicht so schnell!«
»Ich helf dir gleich zu bremsen!«, blaffte Fandorin, der so ähnlich aussah wie der Heizer. »Gib Dampf!«
Er sah an der Hüfte des Heizers das Halfter und zerrte den Revolver heraus. Gottlob eine Langlaufwaffe.
Der Heizer schaufelte wie besessen Kohlen in die Feuerung, der Lokführer warf sich mit dem ganzen Körper auf den Dampfhebel, und der Zug stürmte vorwärts wie ein Pferd, das gestolpert war, sich aber auf den Beinen hielt.
Fandorin beugte sich aus dem Fenster und zielte auf den nächsten Räuber. Der duckte sich geschickt hinter den Hals des Pferdes.Daneben! Noch ein Schuss, auch vorbei. Das verdammte Gerüttel!
Fandorin umklammerte den Revolvergriff mit beiden Händen.
Masa riss die Tür auf und sah sämtliche Fahrgäste auf dem Fußboden liegen, die Hände überm Kopf. Keiner von ihnen machte auch nur den Versuch, die Angreifer abzuwehren. Wohl deshalb schossen die Banditen nicht in den Waggon,
Weitere Kostenlose Bücher