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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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wollten die Frauenals gleichberechtigte Kameraden ebenfalls die Erde pflügen. Aber die Fräulein haben weniger Kraft, schmalere Händchen. Das System musste revidiert werden. Die Frauen bekamen den Status der ›Hauserhalterinnen‹. Die Männer lebten alle zusammen in einem Wohnheim, und für jede Dame wurde ein Haus gebaut, in dem sie als Hausherrin für Wohnlichkeit und Essen sorgte. Die Männer hatten die freie Wahl, in welchem Haus sie die Freizeit verbringen und die Mahlzeiten einnehmen wollten. Die Frau, zu der die meisten Männer kamen, genoss das höchste Ansehen. Dieses System sah keinerlei Frivolitäten vor. Aber das Leben hat seine eigenen Gesetze. Schon sehr bald trat an die Stelle des gesunden Wetteiferns der Frauen eine Rivalität ganz anderer Art. Und die Männer suchten sich die Hausfrau nicht nur nach den Erfordernissen des Magens aus … Jung waren sie schließlich alle, und eine Kommune ist kein Kloster. Na ja, nach einiger Zeit bildete sich im ›Lichtstrahl‹ eine Art Bienenreich. In jedem Bienenstock, also Haus, lebte eine Königin, die sich von mehreren Gatten besuchen ließ. Im Tal gab es stets weniger Frauen als Männer.«
    Masa, der bislang kaum zugehört hatte, spitzte die Ohren.
    »Intellessant«, sagte er und ließ den eingeseiften Pinsel vor der Wange seines Herrn schweben. »Und dann fingen alle an, sich umzublingen?«
    »Stellen Sie sich vor – nein. Es waren schließlich fortschrittliche Menschen, Lebesjatnikows, wenn Sie sich an diese Figur aus Dostojewskis ›Schuld und Sühne‹ erinnern. Eifersucht und Monogamie waren in der Kommune als gesellschaftlich gefährliche Erscheinungen strengstens verpönt. Ein Paar, das seine Liebe nicht mit den Kameraden teilen will, wird ausgeschlossen und muss das Tal für immer verlassen. Die Kinder werden gemeinsam großgezogen. Die Kindsmutter ist bekannt, und alle Männer sehen sich als Väter oder Brüder, je nach Alter.«
    »Und was geschieht, wenn die Kinder groß sind?«, fragte Fandorin. »Wollen sie etwa nicht hinaus aus diesem … K-Kollektiv in die weite Welt?«
    »Einige ja. Aber sie kommen fast alle sehr bald zurück. In der weiten Welt sind sie einsam und fürchten sich, da sie an das Leben unter ihresgleichen gewöhnt sind.«
    »Wie viele Einwohner hat die K-Kommune?«
    »An die fünfzig Erwachsene und zwei Dutzend Kinder. Aber die Erwachsenen sind auch Kinder. Unpraktisch, außerstande, für sich selbst einzustehen.« Der Colonel lächelte nicht mehr, sein Gesicht war besorgt. »Und da haben gewisse Leute beschlossen, dies auszunutzen. Ich habe mich an Sie gewandt, weil der ›Lichtstrahl‹ Schutz braucht. Die Siedler werden von Banditen terrorisiert. Es ist dieselbe Bande, die den Zug in ihre Gewalt bringen wollte – die ›Schwarzen Tücher‹. Die ist erst kürzlich aufgetaucht, vorher hat man nie von ihr gehört. Vor einiger Zeit hat sie einen Postwagen ausgeraubt. Heute wieder ein Überfall auf die Eisenbahn. Ihren Unterschlupf hat die Bande vermutlich im Dream Valley, aber genau weiß man es nicht.«
    Fandorin reckte das Kinn hoch, damit Masa ihm den Krawattenknoten binden konnte.
    »Ich verstehe nicht ganz. Wozu brauchen Sie einen Detektiv? Warum wenden Sie sich nicht einfach an die Polizei?«
    »Wir sind nicht in Boston oder New York. Eine Polizei gibt es hier nicht. Das neben dem Tal gelegene Städtchen Splitstone hat einen Marshal, aber der kann nicht mal auf seinem eigenen Gebiet Ordnung schaffen. Im County Crook gibt es einen Federal Marshal, aber auch er wird nichts unternehmen, ohne Beweise zu haben.«
    »Beweise wofür?«
    »Dass die Bande tatsächlich im Dream Valley sitzt. Und da gibt es eine Schwierigkeit.« Der Colonel verzog nervös das Gesicht und knackte mit den langen Fingern. »Niemand glaubt, dass sich die›Schwarzen Tücher‹ in dem Tal verstecken. Die Behörden haben wenig Vertrauen zu den Russen und halten sie für gottlose und verdächtige Sonderlinge. Die Situation ist wirklich vertrackt. Verstehen Sie, im Dream Valley leben auch andere Pächter, eine Gemeinschaft von Mormonen. Die haben dort nie Banditen gesehen, sie versichern sogar, im Tal könne es keine ›Schwarzen Tücher‹ geben.«
    »Wie groß ist das Tal?«
    »Das ist es ja grade, es ist klein. Drei bis vier Meilen von Rand zu Rand. Eine der beiden Seiten lügt, die Mormonen oder die Siedler. Weswegen ist unbegreiflich. Und nun möchte ich, dass Sie dieses Rätsel lösen. Wenn die Bande wirklich unsere Sozialisten terrorisiert, muss

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