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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Wenn das noch möglich war.
    Rattlers scheinbar entspannte Haltung und die lässige Bewegung der Finger seiner rechten Hand (zum Anregen der Durchblutung vor dem Schießen) zeigten, dass er ein erfahrener und kaltblütiger Gegner war.
    Zuschauer drängten auf die Terrasse des Saloons. Fandorin hätte einen von ihnen bitten können, ihm seinen Revolver zu leihen, aber nach ihrer Miene zu schließen, würde keiner darauf eingehen. Klapper-Theo war ihr Abgott. Die Cowboys wollten sehen, wie er den zugereisten Stutzer aus dem Osten erschoss. Das gab Gesprächsstoff im Saloon und auf der Ranch, mindestens für eine Woche.
    Melvin Scott übernahm die Pflicht des Schiedsrichters oder auch des Sekundanten. Diese Rolle schien für ihn nicht neu zu sein.
    Er zog einen seiner beiden Revolver, zielte nach irgendwo oben und verkündete: »Wenn es klirrt, können Sie sich frei fühlen, Gentlemen. Sie können laufen, springen, feuern. Aber es wird gebeten, nicht die Zuschauer zu treffen und keine Fensterscheiben zu zerschießen.«
    Aus den Fenstern blickten viele Gesichter, deren Miene ihre Vorfreude und ihre gierige Schaulust verriet.
    Aus dem ersten Stock des »Great Western« guckte Fandorins japanischer Diener auf seinen Herrn. Er zog eine Braue hoch. Das bedeutete: Wird Hilfe gebraucht?
    Fandorin ruckte ärgerlich mit der Schulter: Geh zum Teufel. Dasetzte sich Masa bequem aufs Fensterbrett, holte sein Pfeifchen hervor und stopfte es mit japanischem Tabak, der wie kleingeschnittenes Rosshaar aussah.
    Fandorin sah nur einen Ausweg – er musste den Abstand verkürzen, musste mit ruckartigen Bewegungen, um den Kugeln auszuweichen, bis auf fünfzehn Schritte an den Gegner herankommen und dann schießen. Schlimm wäre, wenn Rattler ohne zu zielen aus der Hüfte schoss, dann konnte eine verirrte Kugel Fandorin treffen. Am sichersten wäre ein Dreifachsalto vorwärts, aber ein Anzug war schon hin, und den letzten wollte er nicht auch noch verderben. Da war’s schon besser, etwas zu riskieren. Doch wohin zielte Melvin Scott? Nach einer Krähe?
    Der Schuss knallte, übertönt sogleich von einem hallenden und nicht unangenehmen »Bomm!« – das Blei hatte die Glocke in dem Turm getroffen, den Fandorin anfangs nicht mit einer Kirche in Verbindung gebracht hatte.
    Der Zweikampf begann.
    Fandorin, der kein Auge von Teds rechter Hand ließ, machte sich sprungbereit. Er dachte an nichts mehr. Zwei seiner Blindenführer, Geist und Verstand, waren in den Hintergrund getreten, und nur einer war geblieben, der Körper, und der kannte seine Pflicht.
    Aber Ted Rattler hatte es nicht eilig, zu schießen. Klar: Er wollte, dass sein Feind als Erster mit seiner Spielzeugpistole schoss, das würde man hinterher bei der Gerichtsverhandlung berücksichtigen.
    Ein Schritt vorwärts. Noch einer. Und noch einer.
    Rattler schien die Taktik zu durchschauen. Seine Hand machte eine blitzschnelle Bewegung und hielt schon den Revolver. Aber er schoss noch immer nicht. Die Mündung bewegte sich kaum erkennbar, sie folgte den ungleichmäßig nach rechts und nach links gesetzten Trippelschritten Fandorins.
    Scheußlich. Dieser Othello war gefährlicher, als es zunächst ausgesehen hatte. Auf fünfzehn Schritte würde er Fandorin nicht heranlassen.Der würde seinen Anzug nun noch mehr beschmutzen müssen. Der Staub hier war rot, mit einer Beimengung von Lehm. Das würde Masa nicht wieder rauskriegen.
    Er nahm den Zylinder ab, der nicht zerdrückt werden sollte, und schleuderte ihn beiseite. Der flog aufwärts, beschrieb einen Bogen und wäre genau auf dem Fensterbrett bei Masa gelandet, doch Rattler bewegte die Mündung, die einen Feuerstrahl ausspie, worauf die Kopfbedeckung mit einem Loch im Deckel sich überschlug und zu Boden fiel.
    Dieser Schurke! Der zweite Londoner Zylinder in vier Tagen!
    Ringsum Lärm und Beifall. Teds konzentriertes Gesicht zeigte ein kurzes selbstzufriedenes Lächeln.
    Es war Zeit!
    Noch ein winziger Moment, und der wütende Fandorin würde den Trick mit dem durchschossenen Hut mit seinem eigenen, noch effektvolleren Trick beantwortet haben: Schwerlich hatte man in Splitstone jemals den dreifachen Zickzack-Salto mit Schießen aus der Kopf-unten-Position gesehen, aber da ertönte von hinten rasendes Hufgetrappel.
    »Ted! Teddy! Untersteh dich!«, schrie eine Stimme.
    Rattler fiel der Kiefer herunter, seine Hand mit dem Smith & Wesson senkte sich.
    Auf der Straße kam, eine Staubwolke hinter sich herziehend, Miss Callaghan angaloppiert.

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