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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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der Mann sowohl einen Kopf hatte als auch Hände, nur waren sie schwarz. Es war Washington Reid, der dunkelhäutige Spieler aus dem Saloon.
    »Schäme dich«, sagte Fandorin zu dem Japaner, stellte flink die Klötze aufeinander und kletterte hoch.
    Masa, schuldbewusst schnaufend, baute sich ein gleiches Postament, solche Klötze lagen hier reichlich herum.
    Sie sahen den Neger durchs Tor reiten. Auf dem Hof erwarteten ihn die sieben Brüder und etwas entfernt, in respektvollem Abstand, die übrigen Siedler.
    Reid saß ab, flüsterte seiner grauen Mähre, die rund war wie ein Fass, etwas ins Ohr, da trottete sie allein zur Anbindestange, stieß das Maul in den Hafersack und begann zu schnurpeln.
    »Ich sehe, in dieser Gegend sind die Pferde bedeutend klüger als die Menschen«, versetzte Masa finster; er litt noch immer unter seinem Missgeschick.
    »Psst, stör mich nicht.«
    Die Celestianer sahen Dunkelhäutige wohl nicht als Brüder an, denn Reid wurde nicht ins Haus gebeten, auch unterblieb ein Händedruck, und das Gespräch wurde im Freien geführt. Aber worüber die Ältesten mit dem sonderbaren Besucher plauderten, konnte Fandorin nicht hören. Sie sprachen leise, und die Entfernung betrug an die fünfzig Schritte.
    Fandorin nahm das Fernglas vor die Augen.
    Reid sollte offensichtlich zu etwas überredet werden, und er wollte nicht. Sein Gesicht war mürrisch oder gar verängstigt. Er kratzte sich hinter den Ohren (er trug keinen Hut) und schüttelte den Kopf. Da reichte ihm Moroni kleine Papiere. Fandorin stellte das Glas schärfer.
    Es waren zwei Zwanzig-Dollar-Noten. Ein Glas mit achtzehnfacher Vergrößerung ist was Gutes.
    Für einen zerlumpten Mann wie Washington Reid waren vierzig Dollar viel Geld, und doch schüttelte der Schwarze wieder den Kopf. Der Apostel legte einen dritten Schein dazu.
    Reid ächzte, spuckte aus, brummte etwas und nahm die Scheine. Dann pfiff er seinem Pferd. Es zog das Maul aus dem Sack und trabte herbei. Leichtfüßig schwang Reid sich in den Sattel, legte zwei Finger an die Stirn und ritt im Schritt zum Tor hinaus. Die Ältesten sahen ihm nach und bekreuzigten die Luft.
    Fandorin sprang federnd zu Boden und befahl: »Folge ihm. Er reitet langsam, das schaffst du. Schlimmstenfalls läufst du ein bisschen, das kann dir nicht schaden.«
    »Und wo treffen wir uns, Herr?«
    »Ich spreche mit den russischen S-Siedlern und reite nach Splitstone. Bin dann im Hotel.«
    Aus der Dunkelheit, in der der Reiter verschwunden war, tönten wehmütige Töne – Washington Reid sang ein nächtliches Lied. Mit den Bastschuhen raschelnd, rannte Masa ihm hinterher.

    Der Spezialist

    Schon von weitem, als die Gebäude der russischen Siedlung gerade in Sicht kamen, hörte Fandorin Geschrei, und als er näher heranritt, sah er zwischen den Häusern Silhouetten hasten. Offenbar war die gesamte Bevölkerung einschließlich der Kinder heraus ins Freie geströmt.
    Fandorin hatte sich gedacht, dass die Siedler seine Rückkehr ungeduldig erwarteten, aber dieser stürmische und zahlreiche Empfang verwunderte ihn doch. Noch dazu vernahm er Schluchzen!
    Der Nachtwind trug deutlich wehklagende Laute zu ihm, undnun spornte er sein Pferd an, denn in der Siedlung musste ein Unglück geschehen sein.

Wenn er zusammenfasste, was er von einem guten Dutzend Erzähler gehört hatte, und die Emotionen, Tränen und Zornesrufe beiseite ließ, ergab sich folgendes Bild.
    Am späten Abend, nach dem Essen und den Tänzen, die im »Lichtstrahl« bei jedem Gemeinschaftsfest dazugehörten, hatte die schöne Nastja in Begleitung eines jungen Mannes namens Sawwa einen Spaziergang zum Fluss unternommen. Plötzlich waren vom anderen Ufer her zwei Berittene, schwarze Tücher vorm Gesicht, durch die Furt gesprengt. Sie hoben das Mädchen in den Sattel, versetzten ihrem Kavalier einen Schlag über den Kopf und verschwanden.
    Als Fandorin auf sein Verlangen zu dem Zeugen geführt wurde, fügte der nur wenig hinzu. Der hübsche Junge mit den flachsblonden Haaren und den veilchenblauen Augen lag auf dem Bett. Sein Kopf war mit einer Binde umwickelt, durch die Blut sickerte. Im Zimmer drängten sich zahlreiche Siedler beiderlei Geschlechts; sie hörten zu – nicht zum ersten und nicht zum zweiten Mal.
    »Wir haben im Gras gesessen und uns unterhalten.« Sawwas Stimme bebte, seine Lippen zuckten, er hatte die Erschütterung noch nicht verwunden. »Wir haben sie nicht kommen hören. Dann Getrappel, Geplätscher … Ich schrie noch: ›Was

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