Das Halsband des Leoparden
dachte Fandorin, und bevor er aufsaß, wischte er sich die Stirn mit dem Handrücken, was in der geheimen Gebärdensprache der Ninjas bedeutete: Bleib, wo du bist.
Mindestens dreimal hatten ihm die Celestianer gesagt, er müsse vom Tor nach links reiten, das sei der kürzere Weg zum Grenzzaun. Sie hatten ihm auch hartnäckig einen Begleiter angeboten, doch das hatte er abwimmeln können.
Er wandte sich tatsächlich nach links, schlug aber nach zweihundert Schritten einen weiten Bogen und kehrte zur Palisade zurück, doch nicht zum Tor, sondern zur hintersten Ecke, wo sie an den Felsen stieß. Dessen Schatten nutzte er beim Annähern aus.
»Hierher, Herr, hierher«, rief Masa flüsternd.
Er hatte drei Baumklötze übereinandergestellt, die beim Bau der Palisade übriggeblieben waren, und darauf Posten bezogen, sodass er alles sehen konnte, was in der Celestianerfestung vorging.
»Na, was gibt’s da?«
Fandorin setzte sich auf die Erde und lehnte den Rücken an einen der Stämme.
»Sie hasten herum. Laufen hin und her. Das Licht in den Fenstern geht nicht aus.«
»Sie erwarten noch wen, denn sie haben mich sehr eilig hi-hinauskomplimentiert. Wer mag das sein, zu so später Stunde? Warten wir’s ab.«
Schweigen.
Dann flüsterte der Japaner wieder: »Herr, in dieser Siedlung gibt es viel mehr Frauen als Männer. Warum?«
Die Erklärung fand sein lebhaftes Interesse.
»Wenn ich mein Leben lang in diesem Tal bleiben müsste«, sagte er versonnen, »würde ich nicht bei den Russen leben wollen, sondern würde ein Himmelsbruder werden. Und Sie, Herr?«
Fandorin stellte sich vor, er wäre Siedler oder Celestianer, und ihn schauderte.
»Dann schon lieber der Kopflose Reiter.«
Und er erzählte seinem Gehilfen von der Legende und der eisgekühlten Leiche. Masa schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
»Ja, so was gibt’s. In der Stadt Edo 10 ist in der Zeit des Shogun Tsunaoshi etwas Ähnliches passiert. Herr Tsunaoshi liebte seine Hunde mehr als seine zweibeinigen Untertanen, darum wurde er der Hunde-Shogun genannt. Er ließ im ganzen Land Garküchen und Übernachtungshöfe für streunende Hunde errichten, und wer einem Hund was zuleide tat, war des Todes. Eines Tages hatte ein armer Ronin 11 namens Bakamono Rotaro das Pech, mit dem Schwert einen Hofhund zu töten, der ihm gegen den Kimono gepinkelt hatte, noch dazu auf das Wappen seiner Familie. Der Ronin wurde natürlich zum Harakiri verurteilt, und er führte den Befehl der Behörden auch aus, aber vor dem Tod schwor er, sich für die Entehrung furchtbar zu rächen. Seither geht in den Straßen der Osthauptstadt einschrecklicher Werwolf um. Von den Füßen bis zu den Schultern ist er ein Samurai, doch darauf sitzt ein Hundekopf. Sobald er einen Hund erblickt, egal ob streunend oder mit Herrchen, zieht er sein Schwert und zerhackt ihn in kleine Stücke. Nur heißen Hündinnen tut er nichts. Da ist er wohl zu sehr Rüde, und er …«
Masa verschluckte sich mitten im Satz und hob warnend die Hand – er hatte etwas gehört. Seine Ohren waren besser als die seines Herrn.
»Kommt jemand geritten?«, fragte Fandorin flüsternd, doch gleich darauf vernahm er selber fernes Hufgetrappel.
Masa spähte auf einen Punkt.
»Ein Mensch«, meldete er. »Trägt was Helles. Auf einem Pferd. Reitet langsam.«
Er verstummte plötzlich, wankte auf seinem wackligen Piedestal, vermochte sich nicht zu halten und stürzte herunter. Fandorin konnte gerade noch die runden Klötze auffangen, sodass sie keinen Krach machten. Masa selbst landete weich, darauf verstand er sich bestens.
»Was hast du?«, zischte Fandorin, aber der Japaner sperrte nur Mund und Augen auf und stieß den Finger in den Raum.
Fandorin drehte sich um und war im ersten Moment genauso perplex.
Aus dem Dunkel schwebte ein graues Pferd, auf dem ein ebenfalls grauer Reiter wippte. Über seinen Schultern war nichts, nur Schwärze.
»Das ist er, Gespaltener Stein!« knirschte Masa, bekreuzigte sich wie ein Rechtgläubiger und murmelte ein buddhistisches Gebet.
»Wohl kaum«, bemerkte Fandorin. »Der Häuptling reitet einen Schecken und nicht einen Grauen. Außerdem, sieh doch, die Celestianer öffnen ihm in aller Ruhe das Tor.«
Der Reiter hob den Arm, und da zeigte sich, dass er auch keine Hand hatte.
»Seid mir gegrüßt!«, schrie der Kopflose mit heiserer Stimme, die Fandorin bekannt vorkam. »Da bin ich, wie versprochen!«
Das Gespenst näherte sich den Fackeln, und nun war zu sehen, dass
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