Das Halsband des Leoparden
Erzähltalent.
Er kraulte sich den wuscheligen Bart und knurrte widerwillig: »Ich hab’s schon so oft erzählt … Nu, ich konnte nicht schlafen. Bin spazieren gegangen, hab den Mond angeguckt. Oberhalb derSchlucht ist es schön, da weht leichter Wind. Plötzlich Getrappel. Wer mag das sein?, denk ich. Direkt am Rand der Schlucht ER.« Juda erschauerte. »Ohne Kopf. Das Pferd gescheckt wie eine Kuh. Aufgebäumt hat es sich, unmittelbar überm Abgrund, beim dürren Baum. Dann ist es weggaloppiert. Nu, da ist mir Gespaltener Stein eingefallen. Das Herz hat’s mir abgedrückt. Ich hab’s kaum bis nach Hause geschafft.«
Der Bericht verdiente zweifellos Aufmerksamkeit, denn Menschen wie Juda verstehen sich nicht aufs Lügen und Ausdenken.
»Hat den Reiter nur Mr. Juda gesehen oder noch wer?«, fragte Fandorin.
»Außer ihm noch der junge Saul. Das heißt, wir nehmen an, dass er ihn gesehen hat«, war Moronis unverständliche Antwort.
»Er muss ihn gesehen haben!«, bemerkte einer der Ältesten.
»Weil er nicht auf seinen Vater gehört hat!«, rief ein anderer und schluchzte auf. Die neben ihm nahmen ihn in die Arme, sprachen ihm Trost zu.
»Saul war der Sohn von Methusalem«, erklärte der Apostel traurig mit einem Blick auf den Weinenden. »Der verwegenste von unseren jungen Leuten. Er kannte keine Angst. Jetzt wissen wir nicht, was wir mit ihm machen sollen. In geweihter Erde beisetzen oder einfach verscharren?«
Fandorin hörte stirnrunzelnd zu. Die Geschichte mit dem Kopflosen Reiter war weniger spaßig, als zuerst angenommen.
»Was ist geschehen?«
»Komm mit. Sieh selbst.«
In einem kalten Keller, der sonst wohl zur Aufbewahrung von Lebensmitteln diente, stand auf dem Fußboden ein unbehobelter Sarg. Darin lag, von allen Seiten mit Eisstücken gekühlt, ein Toter. Nur sah er nicht aus, als hätte er Ruhe gefunden. Auf dem violetten Gesicht war eine Grimasse unaussprechlichen Entsetzens erstarrt,und die Augen, obzwar mit Silberdollars bedeckt, waren, nach den hochgerutschten Brauen zu urteilen, aus den Höhlen getreten.
»Sieh hierher.« Moroni leuchtete mit der Petroleumlampe. »Erst die eine Seite, dann die andere.«
Beide Ohren des Toten waren schwarzverkrustet von Blut.
»Die T-trommelfelle wurden durchstochen?« fragte Fandorin leise und schüttelte sich unwillkürlich. »Das darf man nicht auf sich beruhen lassen, das muss man aufklären.«
Der Apostel seufzte verzagt.
»Wie soll man teuflische Ränke aufklären?«
»Genauso wie menschliche.« Fandorin zog, die Zähne zusammenbeißend, das Leichenhemd herunter, um Verletzungen zu finden. »Wir müssen die möglichen Versionen des Tathergangs feststellen und sie dann nacheinander abarbeiten.«
Der Körper wies keinerlei Wunden auf.
»Wodurch ist der T-Tod eingetreten?«
Die Ältesten tuschelten. Sie schienen wieder zu streiten.
»Vor Entsetzen«, antwortete Moroni. »Wir haben Saul am Morgen in der Nähe des Snake Canyon gefunden. Er lag mit dem Gesicht nach unten. Kein Kratzer, nur die Ohren durchstochen.«
Er hob die Hand, damit seine Brüder verstummten.
»Sag an, Russe, glaubst du vielleicht nicht an Gott?« fragte der Apostel, aber nicht verurteilend, sondern irgendwie hoffnungsvoll.
»Das ist eine schwierige Frage, eine kurze Antwort gibt es nicht.«
»Aha, ich hatte recht!«, rief der Älteste Rasis. »So kann nur ein Gottloser reden! Wenn du nicht an Gott glaubst, glaubst du auch nicht an den Teufel?«
»Nein«, gestand Fandorin.
»Ich sage euch, die Vorsehung hat ihn uns geschickt!«
Rasis flüsterte wieder mit den anderen Ältesten. Fandorin hörte nur den Halbsatz: »Das ist immer noch besser als …«
Es blieb unklar, wovon Rasis seine Brüder überzeugen wollte, indes gelang es ihm nicht.
»Es bleibt bei dem, was ich beschlossen habe!«, sagte Moroni mit erhobener Stimme. »Schluss mit dem Streit!«
Er holte eine Uhr aus der Tasche, ließ vielsagend den Deckel klicken, und die Diskussion hörte auf.
»Mitternacht ist vorbei, und wir müssen früh aufstehen«, sagte er höflich, doch fest zu Fandorin. »Wir danken dir, aber unser Statut verbietet uns, Andersgläubigen Obdach zu geben. Sag, wo finden wir dich? Vielleicht werden wir uns mit einer Bitte an dich wenden.«
»Im russischen Dorf oder im ›Great Western‹ Hotel«, sagte Fandorin. »Es ist wirklich schon spät.«
Draußen brachte man ihm sein Pferd und äußerte noch einmal Entschuldigungen und Dankbarkeit, doch schon in großer Eile.
Interessant,
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