Das Halsband des Leoparden
ließ?«, fragte Jeremia. »Damals wurde viel über dieses entsetzliche Rätsel gesprochen.«
»Ich habe von dem Gemetzel am Little Big Horn gehört. Aber ich hörte auch, dass George Custer seinerzeit die Militärakademie als schlechtester Absolvent seines Jahrgangs abschloss. Sicherlich erklärt dies das ›entsetzliche Rätsel‹.«
»Ich spreche nicht von der Ursache der Niederlage, sondern von der grausigen Entdeckung der Scouts, die als Erste das Schlachtfeld fanden.« Jeremia verfiel in angsteinflößendes Flüstern. »Bei allen zweihundertsechsundsechzig Soldaten und Offizieren war das Trommelfell durchstochen. So einer war Gespaltener Stein. Kein Wunder, dass man mit ihm den Kindern von Colorado bis Montana Angst einjagte. Die anderen Häuptlinge waren längst geschlagen oder hatten sich ergeben und waren in die Reservate gegangen,nur Gespaltener Stein durchstreifte noch die Prärien und Gebirge mit seinen Rothäuten und säte überall Tod und Angst. Ein paarmal entkam er wie durch ein Wunder den Fallen und Hinterhalten. Jedes Mal brachte ihn sein Schecke vor den Verfolgern in Sicherheit. Aber auch Gespaltener Stein fand sein Ende. Ihn richtete – wie viele starke Männer – eine Frau zugrunde.«
Die Ältesten nickten. Sie als eingefleischte Polygamisten durften in dieser Frage als Experten gelten.
»Sie hieß Hellblaue Eichelhäherin. Eine gewöhnliche Squaw, nichts Besonderes. Ich habe sie später im Reservat gesehen. Mager, hier nichts und hier nichts.« Jeremia zeigte es an sich. »Aber Gespaltener Stein war verrückt nach ihr. Und als die Scouts von Colonel McKinley sein Lager am Cotton Creek (das ist fünfzehn Meilen von hier) umstellten, ließ er sich mit der Kavallerie auf Verhandlungen ein, was er zuvor nie getan hätte. Früher hätte er seinen Kriegern befohlen, Frauen und Kinder im Stich zu lassen, hätte wie ein Wirbelwind angegriffen und wäre davongesprengt auf seinem scheckigen Satan. Jetzt aber zauderte er wegen seiner Eichelhäherin. Er ergab sich zu ehrenhaften Bedingungen: Keiner der Indianer wird angerührt, alle werden ins Reservat gebracht. Der Colonel persönlich bekräftigte die Absprache, indem er Gespaltenem Stein die Hand drückte. Und er hielt auch Wort – fast. Beim ersten nächtlichen Biwak, dort beim Snake Canyon« – der Erzähler zeigte zur Seite und nach oben –, »während Colonel McKinley schlief oder wenigstens so tat, zerrten Freiwillige den Häuptling zur Kante der Schlucht und hängten ihn auf – für alle seine Bluttaten und besonders für die durchstochenen Ohren. Den Schecken wollte keiner haben, obwohl es ein erstklassiges Pferd war, sie erschossen das Tier und zogen ihm nicht mal das Fell ab. Die übrigen Gefangenen wurden, wie versprochen, ins Reservat geschafft. Gespaltener Stein ist also am dreiundzwanzigsten August achtzehnhunderteinundachtzig gehenkt worden, so an die fünfhundertSchritt von hier. Wenn wir gewusst hätten, dass hier eine so finstere Tat geschehen ist, hätten wir uns hier nicht angesiedelt.«
»Wahrlich«, sagte Moroni seufzend, und die anderen sprachen ihm nach: »Wahrlich.«
»Das ist natürlich eine spannende G-Geschichte, aber was hat der kopflose Reiter damit zu tun?«
»Ja, das hast du vergessen, Jeremia«, sagte der Apostel mit leichtem Vorwurf zu dem Bruder.
»Das habe ich mir zum Schluss aufgehoben.« Jeremia beugte sich vor und flüsterte, schon nicht mehr schauspielernd, sondern wirklich vor Angst zitternd. »Dort am Rande der Schlucht stand ein dürrer Baum, der steht heute noch da … Die Freiwilligen legten dem Indianer einen langen Strick um den Hals und stießen ihn hinunter. Sein Körper aber war mächtig und schwer. Die Halswirbel hielten nicht stand, und am Strick baumelte nur der abgerissene Kopf mit dem Hals. Der alte Neger Washington Reid, der dabei war und alles mit angesehen hat, sagte gleich: ›Das bedeutet nichts Gutes. Der Indianer wird seinen Kopf holen.‹ So war es auch. Der Häuptling ist zurückgekommen. Er streift durchs Tal und sucht, was er verloren …«
Der Apostel murmelte zum Schutz vor dem Bösen einen Psalm, und die Ältesten fielen ein.
»Hat einer von euch den kopflosen Reiter mit eigenen Augen ges-sehen?«, fragte Fandorin, nachdem er das Ende des Gebets abgewartet hatte.
»Das erste Mal in der Nacht zum dreiundzwanzigsten August«, bestätigte Moroni und wandte sich dem links von ihm Sitzenden zu. »Juda, du warst dort.«
Der besaß im Gegensatz zu Jeremia kein
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