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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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macht ihr? Lasst sie los!‹ Da hat er mich mit dem Griff …«
    »Du bist selber schuld, selber!«, schrie Lukow händeringend. »Wieso hast du Nastja zum Fluss geführt? Welches Recht hast du, ihr den Hof zu machen? Du bist doch minderjährig! Kennst du die Regeln nicht?«
    Der Vorsitzende war ganz außer sich. Die Beschuldigungen gegen Sawwa wiederholte er noch mindestens dreimal, dann brach er in Schluchzen aus.
    »Was ist zu tun, Erast Petrowitsch? Was ist zu tun?«, fragte er schniefend und griff nach Fandorins Hand. »Sie müssen Nastja retten! Holen Sie sie zurück!«
    Alle anderen sagten das Gleiche. Als Fandorin jedoch genauer hinsah, fiel ihm auf, dass die weibliche Hälfte der Gemeinschaft weniger jammerte als die männliche. Von den Vertreterinnen des weichherzigen Geschlechts wischte sich nur Dascha die Augen.
    Als sie dann das Wort nahm, verstummten alle. Die Meinung der Buckligen schien hier Gewicht zu haben.
    »Nastja tut mir leid«, sagte sie. »Das arme Mädchen! Aber was kann Erast Petrowitsch ganz allein gegen eine Bande ausrichten? Denn wir, liebe Schwestern, wollen unsere Männer doch nicht den Kugeln der Banditen aussetzen?«
    »Das fehlte noch! Um nichts auf der Welt!«, schrien die »Schwestern«, und eine, mit Brille, rief schrill: »Gewalt bringt nie was Gutes!« Die Bucklige hob die Hand, damit sie verstummten.
    »Freunde, eines ist klar. Wir müssen von hier weg. Je eher, desto besser. Wir können nicht in dem Tal bleiben.«
    Die Menge lärmte wieder los, aber jetzt waren es vorwiegend Männerstimmen.
    »Wie weg? Wohin? Alles aufgeben?«
    Ein paar Männer murrten empört: »Und Nastja? Nastja im Stich lassen? Prinzipien hin und her, aber das ist einfach gemein!«
    Auf den, der den letzten Satz gesagt hatte, fuhr eine der Siedlerinnen los, die nicht eben zur Intelligenzia zählte: »Halt den Mund, du Bock! Achtzehn Jahre hab ich dich gefüttert und dein Zeug gewaschen, und du rennst zu dieser Steißwacklerin! Recht ist ihr geschehen!«
    Nun redeten alle wild durcheinander, fielen einander ins Wort, fuchtelten mit den Händen. Offensichtlich waren die Fragen der Familie und der Sexualität in der Gemeinschaft noch nicht endgültig geklärt.
    »Können Sie gehen?«, fragte Fandorin leise den Verbundenen. »Kommen Sie. Ich will sehen, wo das passiert ist.«
    Unbemerkt von den erhitzten Streithähnen, schlichen sie aus dem Haus. Der Einzige, der sich ihnen anschloss, war der Vorsitzende Lukow.
    Draußen graute schon der Morgen, und als sie den Fluss erreichten, war es ganz hell.
    »Nicht nahe herangehen«, befahl Fandorin den Begleitern. »Wo befanden Sie sich?«
    »Dort haben wir gesessen, unter dem Strauch.«
    Dem zerdrückten Gras nach zu urteilen, hatten sie nicht gesessen, sondern gelegen, erkannte Fandorin, doch er behielt diese Entdeckung für sich, damit Lukow nicht wieder in Hysterie verfiel. Der war ohnehin kaum noch zurechnungsfähig.
    »Ich weiß schon!«, schrie er. »Ich kann’s mir denken! Sie glauben nicht an die Schwarzen Tücher, stimmt’s? Sie denken, die Mormonen wollen uns hier vergraulen! Ich habe das aus Ihrem Verhalten geschlossen. Und jetzt sehe ich, Sie haben recht! Die waren das, die langbärtigen Wilden! Sie haben Nastja in ihren Harem geholt!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte der hockende Fandorin. »Nein, das glaube ich nicht …«
    An dieser Stelle hatten die beiden Reiter den Fluss durchquert. Der Abdruck eines schmalen Frauenfußes – Nastja war wohl aufgesprungen und hatte zu fliehen versucht. Eine Delle, ein paar Blutstropfen – hier war Sawwa betäubt zu Boden gestürzt.
    Fandorin ging durch die Furt ans andere Ufer.
    So. Im Gebüsch hatten zwei Männer gelegen, ziemlich lange. Sechs Zigarettenstummel lagen herum, doch nicht von der letzten Nacht, sondern schon länger. Damit entfielen die Celestianer, denn für sie war Tabak »teuflischer Schwefel«.
    Etwas weiter weg waren die Pferde angebunden gewesen – Hufspuren, beknabberte Zweige.
    Fandorin erinnerte sich, was Nastja von ihrem Morgenspaziergang erzählt hatte – zwei Männer hätten sie vom anderen Ufer her beobachtet. Sie hatten die Beute ausgespäht, waren dann zurückgekehrt, um sie zu holen, und die leichtsinnige Schöne hatte den Jägern ihre Aufgabe erleichtert, sie war wieder zum Fluss gekommen. Zu derselben Stelle – kein Wunder, eine malerische Lichtung, Weiden am Wasser.
    Einige Zeit folgte er der Spur. An einem Strauch fand er ein Fetzchen Seide vom Kleid des geraubten Mädchens,

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