Das Halsband des Leoparden
die Flasche leer war, holte er eine neue hervor.
»Und merken Sie sich, Freund: Ich bin nur engagiert, um der Spur zu folgen. Mit den Schwarzen Tüchern zu kämpfen habe ich nicht vor. Früher, in jungen Jahren, hat mir so was alles nichts ausgemacht, doch jetzt muss ich ans Alter denken. Wenn man gleich hin ist, na schön, aber wenn man zum Krüppel wird? Wer braucht schon einen einbeinigen Invaliden? Zu viele davon hab ich im Leben gesehen. Ich will nicht in der Gosse krepieren wie ein herrenloser Hund.«
»Wie würden Sie denn gern k-krepieren?«, erkundigte sich Fandorin.
Scott lächelte träumerisch.
»In einem weichen Federbett. Meine Frau soll mir die Hand halten, und in der Tür sollen sich schluchzende Kinder drängen. Und wenn sie mich auf den Friedhof karren, soll kein einziger Hundesohn in der Beerdigungsprozession einen Revolver am Gürtel tragen. Ach, Freund! Es wird erzählt, dass es auf der Erde Orte gibt, wo die Leute unbewaffnet durch die Straßen gehen und wo viele, viele Frauen leben, noch dazu anständige. Mein Pech ist, dass ich es nie verstand, Geld zurückzulegen, sondern alles verpulvert habe. Einmal einen richtigen Batzen kriegen, fünf Riesen oder zehn … Da würd ich von hier verschwinden. Und mir eine Familie anschaffen. Bloß wo bekomm ich einen solchen Haufen Geld her?« Er lachte auf. »Ob ich einen Zug ausraube? Das würde ich hinkriegen. Nur würd ich nicht längs der Gleise reiten und nach allen Seiten ballern wie diese Holzköpfe mit den schwarzen Tüchern. Ich würde eine krepierte Kuh auf die Schienen legen, dann bliebe die Lok von selbst stehen. Das Weitere wäre einfach. Lokführer und Heizer würden nicht stören, wozu sollten sie sich Ärger einhandeln? Die Fahrgäste zu rupfen machte auch keinen Sinn, was ist von denen schon zu holen? Man müsste gleich zum Postwagen,und wenn die Postler nicht im Guten öffnen, Dynamit an die Tür. Die Säcke mit dem Siegel vom Schatzamt nehmen, und nichts wie weg. Einfacher geht’s nicht. Das Problem ist nur, vernünftige Kumpels zu finden. Wie viele gute Leute sind aufgeflogen wegen Idioten, die nicht das Maul halten konnten und zu viel soffen.« Scott grämte sich so sehr, dass er fast ein Viertel des Flascheninhalts trank. »Mit Ihnen würde ich’s probieren. Man sieht sofort, dass Sie kein Schwätzer sind und dass Ihre Nerven funktionieren.«
Er zwinkerte, also meinte er es wohl nicht ganz ernst.
Sie ritten seitlich um das russische Dorf herum, um keine Zeit zu verlieren. Melvin Scott unterhielt seinen Begleiter jetzt mit einem Vortrag darüber, wie man eine Bank ausrauben muss. Das sei noch einfacher, als einen Postwagen auszuweiden.
Aber kaum hatten beide die Stelle erreicht, wo Fandorin die Spur verloren hatte, verstummte der Pink, sprang vom Pferd und beugte sich dicht über die Erde, um etwas zu betrachten.
Er lief zur Seite, wo zwischen zwei Felsblöcken ein enger Gang hindurchführte, und schnupperte wie ein Hund.
»Riecht nach Pferdeschweiß … Hier kommt ein Pferd nicht durch, ohne den Stein mit der Kruppe zu streifen. Nehmen Sie meins am Zügel. Und halten Sie Abstand.«
Zu beobachten, wie ein richtiger Profi arbeitet, ist immer ein Genuss.
Wo war der zynische Trunkenbold geblieben, der Fandorin zwei geschlagene Stunden lang mit sinnlosem Geschwätz genervt hatte?
Scotts Bewegungen wurden sparsam, geschmeidig, ja, graziös. Er lief ein paar Schritte vor, blieb wieder stehen, schnoberte nach rechts, nach links.
Nie im Leben würde Fandorin eine kaum erkennbare Scharte auf einer Felsplatte beachtet haben, doch die hatte, wie der Pink sagte, ein Hufeisen geschlagen, und zwar in der letzten Nacht. Später zeigte Scott mit dem Finger auf einen abgebrochenen Zweig undbog nach links ab, wo ein ausgetrocknetes Bachbett den Fährtensucher aufwärts führte, auf einen gewundenen Pfad, höher und immer höher. Auf der einen Seite war der steile Felshang, auf der anderen öffnete sich der Blick auf das Tal.
Von hier aus glich es einer riesigen Schüssel Sauerampfersuppe, in der wie ein Eigelb das Roggenfeld der Kommune »Lichtstrahl« schwamm. Fandorin zügelte seine Fuchsstute am Abgrund, um dieses Meisterwerk der natürlichen Kochkunst zu genießen. Scotts Brauner trippelte unruhig auf der Stelle und zerrte am Zügel, der an Fandorins Sattelknauf gebunden war. Plötzlich bäumte er sich wiehernd hoch auf und sprang zur Seite – unter seinen Hufen hervor schoss eine lange gefleckte Schlange ins Gebüsch. Der
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