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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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eindroschen, aber auf das leise und wenig angenehme Zwitschern der falschen Blaumeise reagierte es sofort.
    Fandorin setzte sich im Bett auf, öffnete die Augen und sah, dass tiefe Nacht war.
    Wieder pfiffelte das japanische Vögelchen.
    Fandorin beugte sich aus dem Fenster.
    Draußen keine Menschenseele. Stockfinster. Selbst in den Fenstern des Saloons kein Licht.
    Aus dem Dunkel noch zwei kurze, ärgerliche Triller. Sie bedeuteten: Schnell, Herr, was trödeln Sie?
    Da Fandorin in Kleidern und Schuhen geschlafen hatte, schwang er sich einfach übers Fensterbrett hinaus.
    Kurzer, erfrischender Flug vom ersten Stock hinunter. Die abgefederte Landung machte Fandorin endgültig munter.
    Schon stand, wie aus dem Boden gewachsen, Masa vor ihm.
    »Herr, er hat alles verspielt. Hat allein getrunken. Den Saloon als vorletzter verlassen. Als letzter ich. Der Wirt hat nach mir zugesperrt.«
    »Warum bist du Reid nicht nachgegangen?«
    »Weil er bald zurückkommt. Als fast keiner mehr im Saloon war und der Wirt mal wegguckte, hat der schwarze Mann heimlich den Fenstergriff herumgedreht, aber das Fenster zugelassen. Damit er später von draußen reinklettern kann.«
    Fandorin wurde ärgerlich.
    »Reid hat kein Geld zum Saufen. Er wird eine oder zwei Flaschen stibitzen wollen, wenn der Wirt nicht da ist. Und deshalb hast du mich geweckt? Dabei hab ich grad geträumt, ich wär ein Himmelsbruder.«
    Worauf Masa neidisch mit der Zunge schnalzte.
    »Pst!« zischte Fandorin ihn an und drückte sich an die Wand. »Er kommt!«
    Vor der Terrasse des Saloons ein Rascheln, ein flinker Schatten schwang sich übers Geländer. Der Fensterrahmen knarrte.
    Minutenlang war es still. Dann kam der Mann wieder herausgestiegen, doch bewegte er sich jetzt langsam und vorsichtig und drückte einen großen und offenbar ziemlich schweren Gegenstand an die Brust. Als er damit das Fensterbrett streifte, gab es ein Gluckern und Klirren.
    »Oho, er hat einen ganzen Ballon Sprit gemaust«, wisperte Masa. »Jetzt wird er sich zu Tode saufen.«
    Der Dieb hockte sich hin und verstaute seine Beute in einem Sack, den er wohl vorher bereitgelegt hatte.
    »
Danna, sore wa doosyta no?«
1
    »Ich w-weiß nicht. Aber das klären wir jetzt.«
    Fandorin überquerte rasch die Straße und knipste die Taschenlampe an.
    Washington Reid, von dem grellen Licht geblendet, fuhr herum, seine Augen klapperten verwirrt.
    »Hey, Bursche, wer bist du? Ich kann dich nicht sehen. Nicht schießen! Sieh her, mein Revolver steckt im Halfter, und hier sind meine Hände. Du hast doch bestimmt schon gezogen?«
    »Nein, aber mein Partner hat Sie im Visier.« Fandorin trat näher heran. »Los, zeigen Sie, was Sie da haben.«
    Reid blieb hocken, bewegte sich sacht von dem Sack weg.
    »Ich erkenne Sie an der Stimme. Sie sind der Gentleman aus dem Osten mit dem drolligen Pistölchen. Hören Sie, Sir, ich habe nichts Böses getan. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn der kleine Vorfall unter uns bleiben könnte. Ich werde hier von allen nicht schlecht behandelt, aber wenn die Leute auf die Idee kommen, dass ich ein Zauberer bin … Für einen Schwarzen ist das Leben unter Weißen auch so schon nicht ganz einfach …«
    Während er das sagte, bewegte er das Kinn hin und her, um den zweiten Mann zu sehen.
    »Masa, gib mal L-Laut, sonst denkt Mr. Reid, dass ich bluffe, und versucht mich umzubringen. Mit dem Revolver weiß er sehr gut umzugehen.«
    Aus der Dunkelheit tönte ein drohendes Räuspern.
    »Sie sollten nicht so von mir denken, Sir! Der alte Washington Reid hat noch keinen Menschen umgebracht. Ich bin kein Mörder. Wahr ist, ich kann gut schießen. Aber selbst im Krieg, als ich bei den Scharfschützen war, hab ich immer nur auf die Beine gezielt. Ich bin seit dreißig Jahren im Westen, habe mehr als ein Dutzend Hände durchschossen, wenn sie die Waffe ziehen wollten, aber keinen Einzigen getötet, da können Sie fragen, wen Sie wollen.«
    »Genug geschwatzt!«, schnauzte Fandorin ihn an. »Zeigen Sie, was Sie gestohlen haben!«
    Reid bekreuzigte sich und holte aus dem Sack den großenGlasballon, der im Saloon über der Theke gestanden hatte, umrahmt von Zwiebel- und Paprikabüscheln.
    »Wozu brauchen Sie denn eingelegten K-Kohl?«
    Fandorin richtete die Taschenlampe auf den Ballon und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Es war kein Kohl, sondern ein menschlicher Kopf. In dem grauen Gesicht mit den leidvoll geschlossenen Augen waren eine breite Hakennase und ein großer Mund zu

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