Das Halsband des Leoparden
verstecken. Nein, sie erwartete Fandorin da, wo er sie verlassen hatte – im Salon.
Und ging sofort zum Angriff über.
»Du wirst hängen!«, schrie sie, kaum dass er auf der Schwelle stand. »Du hast einen Pinkerton-Agenten erschossen – vor sechs Zeugen! Und auf dein Geschwätz wird niemand etwas geben!«
Keine Frage, die Wut stand ihr bestens zu Gesichte. Besonders schön waren die zerzausten feuerroten Locken. Na, und natürlich die Flammen sprühenden Augen.
»Sie haben sechs Zeugen, ich aber fast fünfzig.« Fandorin wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn, denn er war vom Springen und Laufen in Schweiß geraten. »Und sie alle haben gesehen, wie Mr. Scott schon einmal erschossen und obendrein in den Abgrund gestoßen wurde. Ihr schlauer Plan ist gescheitert, mein Fräulein. Beinahe hätten Sie den Colonel und mich um den Finger gewickelt. Aber Konfuzius hat recht: ›Richtige Taten führen stets zum richtigen Resultat‹.«
»Wer ist dieser Konfuzius?«, fragte sie argwöhnisch und überlegte fieberhaft.
»Ein weiser Mann aus Ch-China.«
»Schade, dass deinem Konfuzius nur das Bein durchschossen wurde!«
Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf und fand offenbar nichts, um die Situation zu ihren Gunsten zu wenden.
Fandorin machte eine spöttische Verbeugung und wandte sich zum Gehen, ohne das reizvolle Geschöpf aus den Augen zu lassen. Womöglich schoss sie ihm in den Rücken, zuzutrauen war’s ihr.
»Wo wollen Sie hin?«, rief sie mit zauberhafter Inkonsequenz und stürzte hinter ihm her.
»Zum Telegraphen. Ich muss Colonel Star ein Telegramm schicken. Eines habe ich ihm schon geschickt. Ich denke, man wird sie ihm zusammen aushändigen.«
Er trat auf die Vortreppe.
Ihre Augen sprühten nicht mehr Blitze, sie blickten seltsam nachdenklich.
»Leben Sie wohl, Miss. Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Bekanntschaft sich so aufregend gestalten würde.«
Fandorin trat vorsichtig eine Stufe tiefer.
»Du ahnst nicht mal,
wie
aufregend sie werden kann …«, flüsterte Ashlean.
Er glaubte sich verhört zu haben, zumal sie sich im nächsten Moment abwandte.
»Hey, ihr Holzköpfe!«, schrie sie wütend die Cowboys an. »Was steht ihr untätig rum? Schafft den Kadaver weg!« Sie wies mit dem Zeigefinger angewidert auf Scotts Leiche. »Bringt ihn irgendwohin und scharrt ihn ein! Und wir, Billy, sprechen uns noch!«
Die Cowboys liefen zu der Leiche, fassten sie an Händen und Füßen und hoben sie auf. Dabei fiel aus Scotts Westentasche das Goldkettchen und dann eine Uhr, auch aus Gold.
Wenn ein Mensch ein eingefleischter Lügner ist, zeigt sich das sogar in Kleinigkeiten, dachte Fandorin philosophisch, als ihm einfiel,dass der Verblichene gesagt hatte, er kriege das Geld für eine Uhr einfach nicht zusammen.
Einer der Cowboys hob nach einem verstohlenen Rundblick das goldene Ding auf und betrachtete es.
»Solch ein schönes Stück und kaputt«, sagte er und spuckte aus.
Fandorin trat interessiert näher. Die Uhr hatte kein Glas mehr, die Zeiger waren verbogen, und die Rückseite hatte eine Delle von einer Kugel. Das Kaliber kannte er genau, es war eine Herstal-Kugel gewesen.
Nun war die logische Kette lückenlos geschlossen. Die Geschichte hatte keine weißen Flecke mehr.
Das auf Deduktion trainierte Gehirn des Fahnders brauchte nur Sekunden, um die Abfolge der Ereignisse zu rekonstruieren.
Cork Callaghan brauchte dringend Geld, viel Geld. Der Colonel hatte erzählt, dass der alte Ire bei der Erweiterung seines Viehhandelsimperiums seine Kredite tüchtig überzogen hatte. Die jämmerlichen zehntausend, die Maurice Star ihm für das Dream Valley geboten hatte, konnten ihm nicht weiterhelfen. Aber da entstand eine Idee. Ob sie von ihm stammte oder von seiner unternehmungslustigen Tochter oder von der Schlange Ted Rattler war unerheblich. Wie auch immer, die drei arbeiteten Hand in Hand. Zuerst musste der Eindruck erweckt werden, eine geheimnisvolle Macht wolle um jeden Preis alle Bewohner des Tals vertreiben. So entstand die Bande der Schwarzen Tücher, rekrutiert aus den verwegensten Cowboys von Callaghans Ranch. Gleichzeitig erschien der Kopflose Reiter.
Die Verschwörer, die den Colonel kannten, waren überzeugt, dass der seine Landsleute in ihrer Not nicht im Stich lassen und nachforschen würde, wem sie im Wege waren. Da lag die Vermutung nahe, dass der Colonel den gewiegtesten Fahnder der Gegend, Melvin Scott, um Hilfe bitten würde. Und mit dem war allesrechtzeitig abgesprochen
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