Das Halsband des Leoparden
(eigentlich überhaupt nichts), doch Holmes rüstete sich sofort zur Reise. Er war glücklich wie ein Kind, das weihnachtliche London verlassen zu können. Auf meine Fragen zuckte er nur die Achseln und erklärte, die Sache verspreche amüsant und kurz zu werden, und zwanzigtausend Francs seien ein netter Lohn für einen kleinen Ausflug über den Ärmelkanal. Zwar hatte ich für den 31. Dezember eigene Pläne, doch wie hätte ich dieser Versuchung widerstehen können?
Zwei Stunden später saßen wir bereits im Zug nach Southampton, gingen Punkt Mitternacht an Bord des Paketboots und erreichten nach weiteren elf Stunden Saint-Malo.
II
Als ich an Deck kam, war die Gangway bereits herabgelassen. Holmes stand an der Bordwand und wartete, bis die ungeduldigsten Passagiere an Land gegangen waren. Mein Freund verabscheute vonjeher Gedränge und Menschenmengen. Sein Reiselaboratorium (einen recht großen Lederkoffer) und seinen Geigenkasten hatte er an die Reling gelehnt.
Ich stellte mich neben ihn.
Holmes musterte die Abholenden und bemerkte knapp: »Übrigens, Watson: Die Des Essarts’ sind eine der ältesten und reichsten Familien von Saint-Malo.«
Das erklärte zum Teil, warum er das verworrene und hysterische Telegramm so ernst nahm. Ich wollte ihn fragen, ob er den Absender der Depesche womöglich kenne, doch die nächste Äußerung meines Freundes zeigte, dass dem nicht so war.
»Wer von den Herren mag wohl unser Klient sein?«, fragte Holmes. »Ich vermute, der da drüben, mit dem italienischen Hut und der Pelerine.«
Am Kai standen mehrere respektable Gentlemen, Holmes aber hatte sich für einen Mann entschieden, der meiner Ansicht nach am wenigsten als Repräsentant einer »der ältesten und reichsten Familien« taugte. Doch durch meine Erfahrung geschult, dachte ich nicht daran, die Scharfsicht des großen Diagnostikers menschlicher Seelen in Zweifel zu ziehen.
Der mutmaßliche Klient war ein beleibter, pausbäckiger Herr mit runder Hornbrille. Unter dem breitkrempigen Garibaldi-Hut hingen lange, zur Hälfte ergraute Haare herab. Monsieur Des Essarts (wenn er es war) winkte eifrig jemandem zu, offensichtlich voller Ungeduld, ja, sogar leicht auf der Stelle tänzelnd.
»Eine schillernde Gestalt«, bemerkte ich.
Und als ich sah, welchem Passagier der Herr so enthusiastisch zuwinkte, wusste ich, woran Holmes unseren Klienten erkannt hatte.
Der Herr lief auf einen unserer Reisegefährten zu, einen Weinhändler aus Portsmouth, packte ihn am Arm, lüpfte den Hut und redete aufgeregt auf ihn ein. Der Weinhändler legte für alle Fälleebenfalls die Hand an die Mütze, betrachtete den Franzosen jedoch verwirrt.
»Ja, ja.« Holmes nickte. »Schuld ist die Mütze mit den zwei Schirmen. Seit die illustrierten Zeitungen mich ausschließlich mit dieser Kopfbedeckung abbilden, trage ich sie nicht mehr. Doch das kann Monsieur Des Essarts nicht wissen. Nun, Watson, was sagen Sie nach dem ersten Eindruck zu unserem Klienten?«
Ich bemühte meine ganze Beobachtungsgabe und mobilisierte meine bescheidenen psychologischen Kenntnisse.
»Der Mann ist gut über fünfzig, aber von der Art, die man als ›großes Kind‹ bezeichnet. Zu hektische Bewegungen für sein Alter … Er ist vermutlich etwas wunderlich, besitzt jedoch ein gutes, empfindsames Herz. Im Augenblick ist er sehr aufgeregt, aber er ist generell leicht erregbar und unterliegt raschen Stimmungsschwankungen. Wahrscheinlich hat er künstlerische Ambitionen, davon zeugt seine Kleidung. Brillantring, prächtiger Spazierstock – er ist reich. Aber das wissen wir ohnehin. Ja, das ist wohl alles.«
»Stimmt fast alles genau«, lobte mich Holmes. »Was das Alter angeht, bin ich anderer Ansicht. Der Mann ist jünger, als er aussieht – um mindestens zehn Jahre. Auch hinsichtlich der künstlerischen Ambitionen bin ich nicht sicher. Seine Kleidung zeugt eher von dem Wunsch, nicht provinziell zu wirken, und von seiner Liebe zu allem Modernen. Ich nehme an, wir haben es mit einem großen Anhänger des technischen Fortschritts zu tun. Vermutlich ein Pferdenarr, doch er reitet nicht selbst. Er ist mit einer leichten offenen Kalesche ohne Kutscher gekommen. Von Westen. Die Fahrt dauerte etwa eine Viertelstunde.«
Ich glaubte, mein Freund mache sich einen Scherz mit mir (so etwas war schon vorgekommen), und schnaubte.
»Vielleicht wissen Sie auch noch die genaue Adresse?«, erkundigte ich mich spöttisch.
»Selbstverständlich. Ich nehme an, er kam aus dem Château
Weitere Kostenlose Bücher