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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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ihren Hausmantel enger um sich. »Also, da möchte ich nicht mal für Geld wohnen, bei all den Raubüberfällen und Morden.«
    »Da haben Sie recht«, sagte Carl. »Ich mach mir auch ständig Sorgen. Ehrlich, meine Frau verlässt kaum noch das Haus.« Dann zog er das Geld des Armeeburschen aus der Tasche. »Und was kostet das Zimmer?« fragte er.
    »Sechs Dollar«, sagte die Frau. Carl feuchtete sich den Daumen an, zählte ein paar Dollarscheine ab und reichte sie ihr. Die Frau verschwand für einen Augenblick und kehrte mit einem Schlüssel an einem alten und verknitterten Pappschild zurück. »Nummer sieben«, sagte sie. »Ganz am Ende.«
    Das Zimmer war heiß und stickig und roch nach Insektenspray. Sandy ging direkt ins Bad und Carl schaltete den tragbaren Fernseher ein, doch um diese Uhrzeit kam nichts rein als Schnee und Rauschen, zumindest nicht hier draußen. Er schleuderte die Schuhe von sich und zog die dünne, karierte Tagesdecke vom Bett. Sechs tote Fliegen lagen auf den flachen Kissen. Er starrte sie eine Minute lang an, setzte sich dann auf die Bettkante, griff in Sandys Tasche und nahm sich eine Zigarette. Er zählte noch einmal, doch an der Anzahl der Fliegen hatte sich nichts geändert.
    Er sah sich um und betrachtete das billige gerahmte Bild an der Wand, irgendein Blumen-und-Obst-Scheiß, an das sich niemand erinnerte, nicht eine einzige Person, die jemals in diesem stinkenden Zimmer geschlafen hatte. Das Bild diente keinem erkennbaren Zweck, abgesehen davon, einen daran zu erinnern, dass die Welt ein beschissener Ort zum Leben war. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie, versuchte sich eins seiner Bilder bei sich zu Hause vorzustellen. Den Beatnik aus Wisconsin mit der kleinen Zellophantüte Stoff, oder den großen blonden Kerl vom letzten Jahr, der so einen Riesenzirkus gemacht hatte. Natürlich waren manche Bilder besser als andere, das musste Carl zugeben; aber eins wusste er sicher: Wer immer sich seine Fotos anschaute, selbst die schlechten von vor drei, vier Jahren, würde sie niemals vergessen. Da würde er das ganze Geld des Armeeburschen drauf verwetten.
    Carl drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und sah wieder auf das Kissen. Mit sechs Models hatten sie bei dieser Fahrt gearbeitet; sechs Dollar hatte die Alte ihm für das Zimmer abgeknöpft; nun lagen sechs tote Fliegen in seinem Bett. Der Insektenspray brannte ihm in den Augen, er wischte sie sich mit dem Zipfel der Tagesdecke. »Und was sollen die drei Sechsen bedeuten, Carl?« fragte er sich laut. Er zog sein Messer aus der Tasche, bohrte im Loch in einem seiner Backenzähne herum und suchte nach einer passenden Antwort, bei der es nicht um die offenkundige Auslegung dieser drei Zahlen ging, nicht um das biblische Zeichen, auf das ihn seine verrückte alte Mutter mit Freude hingewiesen hätte, wäre sie noch am Leben gewesen. »Das bedeutet, Carl«, sagte er schließlich und klappte das Taschenmesser zu, »dass es Zeit ist, heimzufahren.« Und damit wischte er mit der Hand die winzigen, geflügelten toten Viecher auf den dreckigen Teppich und drehte die Kissen um.

11.
    Etwas früher am Tag saß Sheriff Lee Bodecker in Meade, Ohio, auf einem Drehstuhl aus Eiche an seinem Schreibtisch, aß einen Schokoriegel und ging den Papierkram durch. Er hatte seit zwei Monaten keinen Tropfen Alkohol getrunken, nicht mal ein lausiges Bier, und der Arzt seiner Frau hatte ihr gesagt, dass Süßigkeiten die Entwöhnung erleichterten. Florence hatte daraufhin im ganzen Haus Süßigkeiten verteilt, ihm sogar ein paar harte Kekse unter das Kopfkissen gelegt. Manchmal wachte er nachts auf und ertappte sich dabei, wie er daran herumknusperte und sein Hals so klebrig war wie Fliegenpapier. Ohne seine Schlaftabletten kam er überhaupt nicht zur Ruhe. Ihre sorgenvolle Stimme, die Art, wie sie ihn bemutterte, das machte ihn ganz krank – aber vor allem nagte der Gedanke an ihm, wie sehr er sich hatte gehen lassen. Die Sheriffwahlen im County waren noch über ein Jahr hin, aber Hen Matthews zeigte sich bereits jetzt als schlechter Verlierer; sein ehemaliger Boss hatte schon mit der Schlammschlacht begonnen und überall Blödsinn erzählt über Polizisten, die die Verbrecher so wenig schnappten wie sie Alkohol vertrugen. Nach jedem Schokoriegel, den Bodecker aß, wollte er noch zehn weitere, und sein Bauch hing ihm schon über dem Gürtel wie ein Sack toter Ochsenfrösche. Wenn er so weitermachte, würde er zu Beginn der Wahlkampagne so

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