Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
der Bibel, richtig, Carl?« fragte Sandy.
»Ach Scheiße, ist doch alles aus der Bibel«, sagte Carl und starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen. »Das ist einer der Apostel, der alte Matthäus.«
»Carl hat früher in der Sonntagsschule unterrichtet, stimmt’s, Schatz?«
Seufzend drehte sich Carl im Sitz herum, vor allem, um sich den Burschen noch mal genauer anzuschauen. »Stimmt«, sagte er mit einem schmallippigen Lächeln. »Ich habe früher mal in der Sonntagsschule unterrichtet.« Sandy tätschelte ihm das Knie, und er drehte sich ohne ein weiteres Wort wieder um und zog eine Straßenkarte aus dem Handschuhfach.
»Das wusstest du sicher schon, oder, Gary?« fragte Sandy. »Dass dein zweiter Vorname aus dem Buch der Bücher stammt?«
Der Bursche hörte einen Augenblick lang auf, den Kaugummi zu bearbeiten. »Wir sind nie viel in die Kirche gegangen, als ich klein war«, antwortete er.
Eine Sorgenwolke huschte über Sandys Gesicht, und sie griff nach den Zigaretten auf dem Armaturenbrett. »Aber du bist doch getauft, oder?« fragte sie.
»Na klar, wir sind ja keine Heiden«, antwortete der Soldat. »Ich kenn mich nur nicht mit der Bibel aus.«
»Das ist gut«, meinte Sandy mit einer Spur Erleichterung in der Stimme. »Hat ja keinen Sinn, ein Risiko einzugehen, nicht bei so was. Himmel, wer weiß, wo man endet, wenn man nicht erlöst wird?«
Der Soldat war auf dem Heimweg zu seiner Mutter, bevor die Armee ihn nach Deutschland schickte oder an diesen neuen Ort, Vietnam, Carl wusste nicht mehr genau. Ihm war es vollkommen scheißegal, ob der Bursche nach irgendeinem durchgeknallten Hurensohn aus dem Neuen Testament benannt war oder dass er seiner Freundin versprochen hatte, ihren Ring an einer Kette um den Hals zu tragen, bis er aus Übersee zurückkehrte. So etwas zu wissen machte später alles nur komplizierter; Carl fand es leichter, die dahinplätschernde Unterhaltung zu ignorieren und all die blöden Fragen Sandy zu überlassen, diesen Konversationsscheiß. Das konnte sie gut, flirten und quatschen und dafür sorgen, dass die Models sich wohlfühlten. Sie beide hatten einen langen Weg hinter sich, seit sie sich das erste Mal gesehen hatten. Sie, ein einsames dürres Mädchen von achtzehn Jahren, das in Meade im
Wooden Spoon
servierte und sich all den Mist von den Gästen gefallen ließ in der Hoffnung auf einen Vierteldollar Trinkgeld. Und er? Auch nicht besser, ein weichgesichtiges Muttersöhnchen, das gerade seine Ma verloren hatte, ohne Zukunft, ohne Freunde, mit nichts als seiner Kamera. Er hatte keine Ahnung, was das hieß oder was er als Nächstes tun sollte, als er an jenem ersten Abend fern von zu Hause in den
Wooden Spoon
kam. Das Einzige, was er ganz genau wusste, als er sich in die Nische setzte und die dürre Kellnerin dabei beobachtete, wie sie die Tische abwischte und das Licht ausmachte, war, dass er mehr als alles in der Welt ein Foto von ihr machen wollte. Seitdem waren sie zusammen.
Natürlich gab es noch ein paar Dinge, die Carl den Anhaltern zu sagen hatte, aber das konnte normalerweise warten, bis sie angehalten hatten. »Schau dir das mal an«, würde er sagen, wenn er die Kamera aus dem Handschuhfach zog, eine Leica M3, 35 mm. »Die kostet neu vierhundert Dollar, aber ich hab sie fast für umsonst gekriegt.« Das sexy Lächeln würde nicht von Sandys Lippen verschwinden, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie sich immer ein wenig verbittert fühlte, wenn er damit prahlte. Sie wusste nicht, warum sie Carl in dieses Leben gefolgt war, wollte nicht mal versuchen, das in Worte zu fassen, aber sie wusste, dass die verdammte Kamera kein Schnäppchen gewesen war und dass sie sie am Ende sehr viel kosten würde. Dann würde sie hören, wie er einmal mehr mit einem Ton in der Stimme, der fast scherzend klang, fragte: »Und, wie würde es Ihnen gefallen, mit einer gut aussehenden Frau fotografiert zu werden?«
Nachdem sie die nackte Leiche des Soldaten ein paar Meter in den Wald hineingetragen und geschleift und unter ein paar Büsche gelegt hatten, die voller roter Beeren waren, durchsuchten sie seine Kleidung und seinen Seesack und stießen in einem Paar sauberer weißer Socken auf fast dreihundert Dollar. Das war mehr Geld, als Sandy im ganzen Monat verdiente. »Dieses verlogene kleine Wiesel«, sagte Carl. »Weißt du noch, wie ich ihn um ein wenig Benzingeld gebeten habe?« Er wedelte eine Wolke von Insekten fort, die um sein verschwitztes, rotes Gesicht schwirrten,
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