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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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kündigte er noch an, dass er sein Amt niederlegen wolle. »Kurzzeitig«, sagte er. »Nur, bis ich mich besser fühle.« Seine Frau habe einen Neffen unten in Tennessee, der gerade eines dieser Bibel-Colleges beendet habe. »Er sagt, er will mit den Armen arbeiten«, erklärte Sykes. »Muss wohl ein Demokrat sein.« Er grinste, hoffte auf ein Lachen und dass sich die Stimmung ein wenig hob, doch alles, was er hörte, war das Schluchzen einiger Frauen hinten an der Tür, die zusammen mit seiner Frau weinten. Er hätte sie heute wohl besser zu Hause gelassen, überlegte er.
    Vorsichtig holte er Luft und räusperte sich. »Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er ein Kind war, aber seine Mutter meint, er sei ein guter Junge. Seine Frau und er werden in zwei Wochen hier sein, und wie ich schon sagte, er wird eine Weile aushelfen. Ich weiß, er ist nicht von hier, aber versucht bitte, ihn herzlich aufzunehmen.« Sykes schwankte ein wenig und hielt sich an der Kanzel fest. Er zog die leere Five-Brothers-Packung aus der Tasche und hielt sie hoch. »Nur für den Fall, dass ihr sie braucht, werde ich sie an ihn weitergeben.« Dann übermannte ihn ein Hustenanfall, bei dem er fast zusammenklappte, doch diesmal schaffte er es, sich das Taschentuch vor den Mund zu halten und das Blut zu verbergen. Als er wieder zu Atem kam, richtete er sich auf und sah sich um, sein Gesicht war von der ganzen Anstrengung rot und verschwitzt. Es war ihm zu peinlich, ihnen gestehen zu müssen, dass er starb. Die Staublunge, gegen die er seit Jahren kämpfte, hatte ihn schließlich besiegt. In den nächsten Wochen oder Monaten, hatte der Arzt gesagt, würde er vor seinen Schöpfer treten. Sykes konnte nicht behaupten, dass er sich darauf freute, aber er wusste, er hatte ein besseres Leben geführt als die meisten Männer. Hatte er denn nicht zweiundvierzig Jahre länger gelebt als jene armen Seelen, die bei dem Mineneinsturz ums Leben gekommen waren? War aus seinem Überleben keine Berufung geworden? Ja, er hatte Glück gehabt. Er wischte sich eine Träne aus dem Auge und stopfte sich das blutige Tuch in die Hosentasche. »Also«, sagte er, »ich will euch nicht noch länger aufhalten. Mehr habe ich nicht zu sagen.«

24.
    Roy hob Theodore aus dem Rollstuhl und trug ihn über den verschmutzten Sand. Sie befanden sich am nördlichen Ende des öffentlichen Badestrandes von St. Petersburg, südlich von Tampa. Die nutzlosen Beine des Krüppels schwangen hin und her wie die Beine einer Stoffpuppe. Er stank nach Urin; Roy war aufgefallen, dass Theodore nicht mehr die Milchflasche nahm, wenn er mal musste, sondern sich einfach die gammligen Hosen durchnässte. Er musste Theodore ein paar Mal absetzen und verschnaufen, doch schließlich brachte er ihn bis ans Wasser. Zwei kräftig gebaute Frauen mit breitkrempigen Hüten standen auf, sahen zu ihnen herüber, sammelten dann hastig ihre Handtücher und Cremes ein und eilten zum Parkplatz. Roy ging zum Rollstuhl zurück und holte ihr Mittagessen, eine Flasche weißen Portwein und eine Packung Kochschinken. Den hatten sie ein paar Blocks entfernt in einem Laden geklaut, gleich nachdem ein Lastwagenfahrer, der Orangen transportierte, sie abgesetzt hatte. »Haben wir hier nicht schon mal festgesessen?« fragte Theodore.
    Roy schlang die letzte Scheibe Schinken herunter und nickte. »Drei Tage lang, glaube ich.« Die Polizei hatte sie damals kurz vor Einbruch der Nacht wegen Vagabundierens aufgegriffen. Sie hatten an einer Straßenecke gepredigt. Amerika sei bald so schlimm wie Russland, hatte ein dürrer Mann mit schütterem Haar gebrüllt, als sie an jenem Abend an seiner Zelle vorbei zu ihrer eigenen geführt wurden. Warum könne die Polizei einfach jemanden einbuchten, nur weil er kein Geld oder keine Anschrift habe? Was, wenn man einfach kein beschissenes Geld und kein beschissenes Zuhause wollte? Wo war denn da die Freiheit, von der sie alle redeten? Die Polizisten hatten den Querulanten jeden Morgen aus dem Zellenblock geholt und den ganzen Tag einen Stapel Telefon-bücher die Treppen hinauf- und wieder hinunterschleppen lassen. Einem anderen Häftling zufolge war der Mann allein im letzten Jahr zweiundzwanzig Mal wegen Herumlungerns verhaftet worden, und die Polizisten waren es leid, diesen beschissenen Kommunisten durchzufüttern. Wenn, dann sollte er wenigstens für seinen Fraß ordentlich schwitzen.
    »Ich kann mich nicht mehr erinnern«, sagte Theodore. »Wie war es denn da?«
    »Nicht übel«,

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