Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
antwortete Roy. »Ich glaub, es gab sogar Kaffee zum Nachtisch.« In der zweiten Nacht, die sie dort verbracht hatten, schleppten die Polizisten einen riesigen, mürrischen Kerl mit zerschundenem Gesicht an, den sie Mitesser nannten. Kurz bevor das Licht gelöscht wurde, sperrten sie ihn zu dem Kommunisten in die Zelle am anderen Ende des Ganges. Abgesehen von Roy und Theodore kannte jeder den Mitesser. Er war an der ganzen Golfküste berühmt. »Und warum heißt er so?« hatte Roy den Hungerhaken mit Schnurrbart in der Nachbarzelle gefragt.
»Weil das Arschloch dich zu Boden wirft und dir die Pickel ausdrückt, wenn du welche hast«, antwortete der Mann. Er zwirbelte die gewachsten Enden seines schwarzen Schnurrbarts. »Zum Glück habe ich immer eine gute Haut gehabt.«
»Und warum zum Henker tut er das?«
»Er isst sie gern«, antwortete ein Mann aus einer anderen Zelle. »Manche behaupten, er ist Kannibale und hat überall in Florida Knochen vergraben, aber das glaub ich nicht. Er sucht nur Aufmerksamkeit, denke ich.«
»Himmel, so ein Hurensohn gehört umgelegt«, sagte Theodore und sah kurz auf die Aknenarben in Roys Gesicht.
Der Typ mit dem Schnurrbart schüttelte den Kopf. »Den legt so leicht keiner um«, sagte er. »Hast du schon mal einen von diesen Irren gesehen, die ein Auto auf dem Rücken schleppen können? So einen gab es auch auf der Alligatorenfarm, auf der ich einen Sommer lang unten in Naples gearbeitet habe. Wenn der mal loslegte, hättest du ihn nicht mal mit ’nem Maschinengewehr aufgehalten. Der Mitesser ist auch so einer.« Dann hörten sie Geräusche am Ende des Ganges. Offenbar gab der Kommunist nicht so schnell auf. Doch nach ein paar Minuten hörten sie ihn nur noch weinen.
Am folgenden Morgen tauchten drei breitschultrige Kerle in weißen Jacken und mit Schlagstöcken bewaffnet auf und brachten den Mitesser in einer Zwangsjacke in die Klapsmühle am anderen Ende der Stadt. Der Kommunist hörte nach dieser Nacht auf, sich zu beklagen, beschwerte sich nicht ein einziges Mal mehr über frische Schwellungen im Gesicht oder Blasen an den Füßen und schleppte seine Telefonbücher die Treppe rauf und runter, so als sei er dankbar dafür, dass sie ihm eine sinnvolle Arbeit gegeben hatten.
Theodore seufzte und sah auf den blauen Golf hinaus; das Wasser war so glatt wie eine Glasscheibe. »Klingt nett, Kaffee zum Nachtisch. Vielleicht sollten wir uns einbuchten lassen, wär mal ’ne Abwechslung.«
»Scheiße, Theodore, ich will keine Nacht im Knast verbringen.« Roy behielt den Rollstuhl im Auge. Er war vor ein paar Tagen in ein Altersheim geschlichen und hatte ihn sich ausgeborgt, weil die Räder am alten Rollstuhl ihren Geist aufgegeben hatten. Roy fragte sich, wie viele Meilen er Theodore wohl geschoben hatte, seit sie West Virginia verlassen hatten. Er war zwar nicht gut mit Zahlen, aber er schätzte, eine Million Meilen dürften es wohl gewesen sein.
»Ich bin müde, Roy.«
Theodore war nicht mehr der Alte, seit er sie im Sommer zuvor um den Job im Zirkus gebracht hatte. Ein kleiner Junge von vielleicht fünf, sechs Jahren war mit seiner Zuckerwatte hinten ins Zelt gekommen, während Roy vorne versucht hatte, ein paar Zuschauer einzufangen. Theodore schwor, dass der Junge darum gebeten habe, er solle ihm den Reißverschluss zumachen, doch selbst Roy kaufte ihm das nicht ab. Binnen weniger Minuten hatte Billy Bradford sie in seinen Cadillac geladen und ein paar Meilen weiter draußen rausgeschmissen. Sie hatten sich nicht mal von Flapjack oder der Flamingo Lady verabschieden können; seitdem hatten sie es bei mehreren anderen Truppen versucht, aber die Geschichte von dem verkrüppelten Pädophilen und seinem käfer-fressenden Freund hatte sich schnell unter den Zirkusdirektoren herumgesprochen. »Soll ich dir deine Gitarre holen?« fragte Roy.
»Nein.« Theodore winkte ab. »Ich hab heute keine Musik in mir.«
»Bist du krank?«
»Weiß nicht«, sagte der Krüppel. »Ist nur so, als würde es nie mehr bergauf gehen.«
»Willst du eine von den Orangen, die uns der Trucker gegeben hat?«
»Bloß nicht. Ich hab genug von den Dingern gegessen, das reicht bis zum Jüngsten Tag. Ich hab jetzt noch Dünnschiss.«
»Ich kann dich im Krankenhaus absetzen«, sagte Roy, »und dich in ein paar Tagen wieder abholen.«
»Krankenhäuser sind ja noch schlimmer als Gefängnisse.«
»Soll ich für dich beten?«
Theodore lachte. »Ha. Das ist ein guter Witz, Roy.«
»Vielleicht ist das der
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