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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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die Save gewesen, die nicht zerstört oder in serbischer Hand war.
    Daran dachte ich noch, als ich ein paar Stunden danach allein die Promenade hinunterspazierte, die Reihe der Kastanienbäume entlang, unter denen sich alle paar Schritte Popcornverkäufer mit winzigen Ständen aufgestellt hatten. Es war schon spät am Nachmittag, die Sonne stand flach, eine fast biblische Abendstimmung mit dem aus der Ferne scheinbar unbeweglichen Wasser, den Silhouetten der Badenden, die sich im weichen Licht in den Untiefen ganz am Rand hielten, und ich brauchte nur zu denken, es waren Tage wie der heutige gewesen, damals in jenem Frühjahr und Sommer, um von einem Schwindel der Unwirklichkeit erfaßt zu werden. Dann schaute ich auf das Flimmern über dem gegenüberliegenden Ufer, den dort schon langsam verblassenden Himmel, und versuchte mir vorzustellen, wie es gewesen sein mochte, der Flüchtlingsstrom in den Wochen und Monaten, bevor die Brücke unpassierbar war, die Frauen und Kinder, die noch herübergelassen wurden, während die Männer bleiben mußten, um zu kämpfen, die Verzweifelten, die es darauf anlegten, schwimmend zu entkommen, und kläglich ertranken.
    Keine hundert Kilometer flußaufwärts, an der Einmündung der Una, lag Jasenovac, das größte Ustascha-Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg, in dem Zehn- oder eher Hunderttausende umgebracht worden waren, die meisten von ihnen Serben, und ich erinnerte mich daran, wie Allmayer in einem Artikel ganz und gar hilflos geschrieben hatte, er habe die Gleichgültigkeit der Landschaft fast nicht ertragen, als er am Ort gewesen war. Auf einmal hatte ich seine Beschreibung der dortigen Flußau wieder im Kopf, die Trägheit in der Sommerhitze mit dem schon von weitem sichtbaren Denkmal, der erschlagenden, einer riesigen Orchidee ähnelnden Betonskulptur, die sich wie klagend in den Himmel erhob, und dem Eisenbahnzug, der am Uferdamm verloren in der Wiese stand, der Lokomotive mit den fünf Viehwaggons und den im Nichts endenden Schienen. Das Museum war angeblich vollkommen verwüstet gewesen, wahrscheinlich von Angehörigen der kroatischen Miliz, die dort einquartiert waren, bevor sie daraus vertrieben wurden, und ich versuchte, ihn mir vorzustellen, wie er durch die Ausstellungsräume gegangen war, die Wände kotbeschmiert, Bücher und Photos zerrissen auf dem Boden und kein Fenster mehr ganz. Es war System dahinter, alles unkenntlich gemacht, und ich dachte daran, wie er sich immer selbst hatte korrigieren müssen, wenn er doch noch auf ein Bild stieß, auf dem er ein Gesicht erkennen konnte, oder wenn irgendwo ein Name lesbar war, wie er im ersten Augenblick geglaubt hatte, es wären Überlebende, um sich dann erst zu sagen, es bedeute nichts, der Großteil von ihnen war genauso tot wie diejenigen, von denen sich keine Spuren mehr fanden. Geblieben waren am Ende nur die Kinderzeichnungen, die überall verstreut herumlagen, mit ihren ängstlich zusammengedrängten Gestalten hinter Stacheldraht, in verblassenden Wasserfarben, ihren Wachtürmen und den Mauern der Ziegelei, von Schülerhänden hingestrichelt, sowie die herzzereißende und grauenerregende Geschichte von Milan Kovačević, eine Geschichte, so viel war mir beim Lesen sofort klar geworden, die er sich gewiß nicht ausgedacht hatte.
    Ich war umgekehrt und schlenderte schon flußaufwärts auf die Brücke zu, an der halb überwachsenen österreichischen Festung am Ufer vorbei, als mir die Biographie dieses Mannes wieder einfiel, mit den beiden schrecklichen Eckdaten, in Jasenovac geboren, als Kind einer Gefangenen, und fünfzig Jahre danach, nicht weit von dort, selber Kommandant in Bosnien, in der Gegend von Prijedor, verantwortlich für die Lager Omarska, Keraterm und Trnopolje, die künftig auf keiner Karte menschlicher Grausamkeiten mehr fehlen würden, wie es allenthalben hieß. Es war müßig, auch nur zu versuchen, sich den ein für alle Mal zu Tode erschrockenen Jungen vorzustellen, der noch irgendwo in dem Hundert-Kilo-Kerl gesteckt sein mußte, der ausländische Besucher angeblich am liebsten in einem tarnfarbenen T-Shirt mit der Aufschrift U. S. Marines empfangen hatte, aber ich kam trotzdem nicht davon los, dachte an ihn, als ich den Fluß überquerte, hinüberging auf die andere Seite. Welcome to Republic Srpska stand dort auf englisch neben kyrillischen Schriftzeichen auf einem Schild an der Grenze, und Srpski Brod und nicht nach dem Straßenatlas Bosanski Brod, wie die Zwillingsstadt von Slavonski

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