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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Brod so lange geheißen hatte, und für mich waren es seine Phantasien von nachgetragener Rache und Genugtuung, die darin zum Ausdruck kamen, daß ich am liebsten gleich wieder zurückgegangen wäre.
    Ich blieb auch nicht lange dort, trieb mich eine Zeitlang auf dem Markt herum, einem Areal von rohen Bretterbuden gleich am Fluß, und machte mich dann wieder auf. Mit mir waren ganze Scharen von Leuten auf dem Rückweg, die zum Einkaufen herübergekommen waren und in beiden Händen Säcke schleppten, alles mögliche neben den Stangen Zigaretten, die viele hatten, und Doppelliterflaschen Limonade in den giftigsten Farben. Auf der Brücke war ein regelrechtes Gedränge, Richtung Kroatien immer noch Stau, der aufgekommene Wind hatte sich pfeifend in der Stahlkonstruktion verfangen, und ich war froh, als ich das Hotel erreichte, auch wenn mich die Rezeptionistin dort aufhielt und, kaum daß ich ihr erzählt hatte, wo ich gewesen war, in ein Gespräch verwickelte.
    »Ich verstehe die Krämerseelen nicht«, entrüstete sie sich. »Wenn ich daran denke, wie schnell sie vergessen, was sie mitgemacht haben, frage ich mich, wofür alles gut gewesen sein soll.«
    Obwohl ich ahnte, was sie damit meinte, war ich von der Deutlichkeit ihrer Erklärung doch überrascht, die sie mehr ausstieß als aussprach.
    »Vor ein paar Jahren haben sie noch so getan, als könnten sie unter keinen Umständen mehr zusammenleben, und auf einmal feilschen sie wieder um jeden Pfennig miteinander.«
    Ich wußte nicht, was daran so falsch sein sollte.
    »Das ist doch ein Anfang.«
    Sie lachte.
    »Wovon?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich und bereute es, mich darauf eingelassen zu haben, mit ihr darüber zu reden. »Wahrscheinlich ist aber alles besser als nichts.«
    Sie sah mich an, doch ich erwiderte ihren Blick nicht, schaute auf das Schachbrett in ihrem Rücken, das mir jetzt erst auffiel, und wartete. Während sie das riesige Gästebuch schloß, in dem sie herumgeblättert hatte, ließ sie mich nicht aus den Augen, und ich wurde den Eindruck nicht los, sie gab mir Zeit, mich zu korrigieren oder ein paar Worte hinzuzufügen, die ihr eine Antwort erleichterten. Dann erst setzte sie an, etwas zu sagen, beschränkte sich aber im letzten Moment darauf, zu nicken und mir einen schönen Abend zu wünschen, und bevor ich auch nur fragen konnte, was ich falsch gemacht hatte, war ich entlassen.
    Zwei Stunden später saß ich mit Helena und Paul beim Abendessen, und ich weiß nicht, ob sie sich abgesprochen hatten, nicht über Slavko zu reden, oder ob es Zufall war, daß sie ihn aussparten und mich immer, wenn ich ihn erwähnte, ansahen, als wollten sie nicht an ihn erinnert werden. Sie hatten den ganzen Nachmittag geschlafen und waren ohnehin nicht gesprächig, aber ich verstehe noch immer nicht, was sie damit bezweckten, wenn sie so taten, als hätten wir ihn nicht getroffen. Vielleicht lag es an dem Wort alptraumhaft, durch das sie die Begegnung mit ihm zu beschreiben versuchten, sage ich mir, rührte unser Mißverständnis daher, daß es für sie unwirklich bedeutete, während ich es mit dem Gegenteil verband und im Zweifelsfall selbst lieber schwieg, bevor ich bereit war, ihn als Hirngespinst abzutun.
    Ich erinnerte mich wieder daran, daß Helena sich bei ihm erkundigt hatte, ob er glücklich war, aber davon wollte sie nichts mehr wissen. Es war naiv gewesen, gymnasiastinnenhaft, und er hatte sie angeschaut und gelacht und das Wort wiederholt wie etwas Obszönes, und mir wurde jetzt erst die Anklage klar, die sich hinter ihrem Vorstoß verbarg, deren Unsinnigkeit und die Absurdität eines Freispruchs wovon auch immer, wenn er ja gesagt hätte. Natürlich hatte sie ihn überhaupt nur damit konfrontiert, weil sie es sich nicht vorstellen konnte, und wahrscheinlich reagierte sie daher auch so abwehrend, als ich sie fragte, was wäre, wenn er es doch war, ob das dann irgendeine Bedeutung hätte für das, was er getan hatte oder auch nicht.
    »Für mich ist es eine reine Kinderei, was du dir da ausdenkst«, sagte sie. »Nenn es von mir aus anders, aber du weißt, was ich meine.«
    Ich fragte sie, wie, aber sie winkte ab.
    »Das bleibt sich in seinem Fall gleich«, fuhr sie fort, als wäre es unsinnig, sich darüber lange den Kopf zu zerbrechen. »Auf jeden Fall gelten für ihn andere Gesetze.«
    Ich war so erstaunt, daß ich zunächst schwieg.
    »Wenn es bloß so einfach wäre.«
    Das war alles, was mir schließlich dazu einfiel, bevor sie wieder loslegte, und

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