Das Handwerk des Toetens
schließlich von neuem. »Sie mögen sich wie er den Kopf darüber zerbrechen, solange Sie wollen, aber bevor Sie es nicht selbst getan haben, bleibt alles Gerede.«
Er hatte die Sonnenbrille abgenommen, und ich sah zum ersten Mal seine Augen, die nicht zu seiner sonstigen Erscheinung passen wollten, wäßrig und nervös umherirrend, von einem bläßlichen Blau. Auf der Nasenwurzel kam ein Leberfleck zum Vorschein, den er betastete wie eine Beule, und sooft er den Kopf hin- und herwandte, wartete ich darauf, daß er an seinen Achseln herumschnuppern würde, unter denen große Schweißflecken sichtbar wurden, aber er schaute sich nur um, als suchte er jemanden. Seine Hände zusammengelegt, Finger an Finger, daß sich gerade die Spitzen berührten, ließ er ein paar Augenblicke verstreichen, um sich dann abrupt an mich zu wenden und zu fragen, ob ich noch wüßte, wie früher in den Kirchen die Altarkerzen ausgemacht worden waren, und, bevor ich etwas erwidern konnte, auch schon die Erklärung zu geben.
»Mit einem sanften Blasen aus einem langen Stiel.« Wie um es zu demonstrieren, pustete er die Luft aus.
»Viel mehr als das ist es nicht.«
Das Meßdienerhafte seines Vergleichs machte das Ganze nur noch abstoßender, als es bereits war, und ich weiß nicht, warum ich nicht aufgestanden und gegangen bin, warum ich mir das angehört habe, warum überhaupt nur sein Grinsen ertragen, als er fortfuhr, die Kanaillen auf der anderen Seite hätten natürlich ihre eigenen Methoden gehabt.
»Sie haben am liebsten auf die Knie gezielt«, sagte er, obwohl ihn niemand danach gefragt hatte. »Dann sind sie schreiend aus ihren Gräben heraus und mit blankem Messer auf die Kehle los.«
Ich wußte, daß er sich für das Gespräch bezahlen ließ, und vielleicht produzierte er sich deswegen so, vielleicht war es seine Art, für Geld etwas zu tun, oder überhaupt das, was er ausländischen Journalisten immer schon vorgeführt hatte, seine Ausgabe eines Kriegsherrn, wenn er sich selbst als specijalista bezeichnete und auf die Frage, was das bedeutete, nur ein wissendes Lächeln aufsetzte und uns einen nach dem anderen mit seinem unruhigen Blick ansah. Es fiel mir schwer, zu entscheiden, ob er sich dann nicht nur selbst spielte, damit wir zufrieden wären, einen Bösewicht, wie wir ihn uns seiner Meinung nach vorstellen mußten, und es hatte etwas Unbedarftes, wie er seinen Schnaps ostentativ in sich hineinschüttete oder wie er beim ersten Klingeln sein Telephon aus der Brusttasche hervorzog wie eine Pistole und verhuscht ein paar Worte hineinzischte, um gar nicht davon zu reden, wie er sich aus einer Gruppe von vorbeilärmenden Jungen wahllos einen herausgriff und ihn spöttisch warnte, sich in unserer Gegenwart in acht zu nehmen, wenn er nicht in Den Haag landen wollte. Offensichtlich hatte er seinen Spaß mit uns, aber mir war nicht nach lachen, und als er dann auch noch ein Photo von sich und seinem damaligen Trupp präsentierte und zuerst so tat, als wäre es ein bloßer Faschingsscherz, wie sie dastanden, um einen Panzer gruppiert, dessen Rohr aus dem Bild herauszuragen schien, direkt auf den Betrachter zu, blieb mir die Luft weg vor seiner Unverschämtheit.
Darauf war er, im Vordergrund, mit einer Baskenmütze der einzige Unmaskierte, seinen Blick sichtlich stolz geradeaus gerichtet, ohne dieses Flattern, das ich gerade noch wahrgenommen hatte, während die Uniformierten hinter ihm alle Strümpfe über ihre Gesichter gezogen hatten, und ich erinnere mich, wie er von einem Augenblick auf den anderen mit seinen Flachsereien aufhörte, als er über sie sprach. Obwohl sie ununterscheidbar waren, nannte er jeden beim Vornamen und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn, und es hatte etwas geradezu pervers Zärtliches, ich sehe noch vor mir, wie er sie regelrecht ansprach, als müßte er sie nacheinander aufrufen wie damals im Krieg, nur flüsternd jetzt, und sie würden unhörbar antworten. Wenn etwas echt an ihm war, dann seine plötzliche Rührseligkeit, die mich nach wie vor beklommen macht, sobald ich daran denke, die Brüchigkeit seiner Stimme, als er erzählte, was aus ihnen geworden war, klang seine Aufzählung doch wie eine Meldung vor einer höheren Instanz, vor der er sich verantworten mußte, zwei tot, zwei verheiratet, als wäre das ein und dasselbe, zwei Söldner irgendwo in Afrika, einer krank im Kopf, wie er sagte, und einer zurück nach Kanada gegangen, von wo er nur zum Kämpfen hergekommen war. So, wie er das
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