Das Handwerk des Toetens

darstellte, schienen es lauter Verluste zu sein, und ich weiß noch, wie er klagte, das hatte man davon, wenn man die Drecksarbeit verrichtete und sich immer an Orte schicken ließ, an denen man am wenigsten verloren hatte, wie er das Photo wegsteckte und schwieg, ein Häufchen Elend, das sich selbst bemitleidete, bis Paul ihn fragte, ob er mit seiner Mannschaft auch im Kosovo gewesen war.
    »Was hätten wir dort sollen?«
    Das erwiderte er, bevor er begriffen hatte, worum es ging, um sich dann abrupt zu unterbrechen und sofort jeden Verdacht von sich zu weisen.
    »Meinen Sie wirklich, wir haben etwas damit zu tun?«
    Ich dachte schon, Paul würde ja sagen, aber er ließ ihm gar nicht die Zeit dazu und sprach einfach weiter, nannte Allmayer seinen Freund und gab sich jovial.
    »Sie wissen wahrscheinlich, daß ich ihn das letzte Mal auf Hvar gesehen habe«, sagte er. »Aber glauben Sie mir, er hat dort so getan, als würden wir uns nicht kennen.«
    Das widersprach dem, was Isabella behauptet hatte, doch er beharrte darauf, ging nicht davon ab, ihn angesprochen und nichts geerntet zu haben als seine Zurückweisung.
    »Er war mit einer Frau dort und wollte von unserem Gespräch an der Front nichts mehr wissen«, fuhr er fort. »Vielleicht war ich ihm nicht gut genug, und er hat mich deshalb ihr nicht vorgestellt.«
    Ich wußte nicht, ob ich ihm das glauben konnte, sah aber andererseits auch keinen Grund, warum er lügen sollte, warum vorgeben, er habe nicht mit ihm gesprochen, wenn er es in Wirklichkeit doch getan hatte. Es ergab keinen Sinn, sagte ich mir, und obwohl es ohne Zweifel eine Frauengeschichte zu viel war, hatte er ihn vielleicht wirklich bei einer Affäre ertappt, die er lieber unerkannt pflegte, und war deshalb von ihm vor den Kopf gestoßen worden. Außerdem würde ich nicht behaupten, daß er eine Bekanntschaft war, die man gern ein zweites Mal machte, und wenn ich mir vorstellte, wie er auf ihn zugegangen war, mit seinem fettig glänzenden Haar, ein Glas in der Hand wie ein dahergelaufener Schmalspur-Dandy, dem man den abgehalfterten Vaterlandsverteidiger von weitem schon ansah, fand ich nichts Befremdliches daran, daß er abgeblitzt war.
    Viel mehr als das ließ sich auch nicht aus ihm herausbringen, und er schien dann nicht mehr gewillt zu sein, überhaupt noch über Allmayer zu sprechen, wischte Pauls Fragen weg, was es mit den Schüssen und dem Gefangenenaustausch auf sich hatte, die in dem Interview zur Sprache kamen, und sagte nur, das war ganz normaler Alltag an der Front.
    »Wenn Sie etwas anderes daraus machen wollen, ist es Ihre Sache«, begann er noch einmal. »Sie können Ihrer Phantasie freien Lauf lassen.«
    Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, die vereinbarte Zeit sei um, und für jedes weitere Wort heiße es extra zahlen, aber eigentlich habe er nichts mehr zu sagen. Er setzte seine Sonnenbrille wieder auf, und wie er dann, den Stuhl gekippt, die Hände hinter seinem Kopf verschränkte, unterschied er sich nicht von den Kerlen, die am Nachbartisch saßen und auf den Fluß hinausschauten. Unerkannt hätte er alles und jeder sein können, ein Geschäftsmann in seiner wohlverdienten Mittagspause, ein Vertreter, der nur für einen Tag in der Stadt war, oder auch die Balkanausgabe eines Latin Lover auf Brautschau, und als er sich schließlich verabschiedete und ging, verlor er sich augenblicklich in dem Treiben, das jetzt auf dem Platz herrschte, dem Hin und Her der gezielt Dahineilenden oder einfach nur Schlendernden, die auftauchten und wieder verschwanden, lauter Leute mit dem, was man eine eigene Biographie nannte, einem eigenen Leben, eigenen Vorstellungen, nicht sterben zu müssen, und einem eigenen Tod.
    Ich weiß noch, daß er uns beim Aufstehen warnte, wir sollten uns von der Friedlichkeit nicht täuschen lassen, der bosnische Krieg hätte hier und nicht, wie alle glaubten, in Sarajevo begonnen. Dann erwähnte er die strategische Wichtigkeit des Ortes, den Korridor, wenn ich mich richtig erinnere, der eine direkte Verbindung zwischen Belgrad und der Krajina gewährleisten sollte, und die Raffinerie auf der anderen Seite, bis er plötzlich dastand, als merkte er selbst, daß jedes weitere Wort nur noch absurder klingen mußte. Er deutete über meinen Kopf hinweg auf die Brücke, auf der sich die Lastwagenkolonne die ganze Zeit über so gut wie nicht weiterbewegt hatte, und das letzte, was ich von ihm gehört habe, war, es sei am Ende weit und breit die einzige Verbindung über