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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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das ganze Theater mit den Sirenen ein Versuch, die Leute kopfscheu zu machen, sie einzuschüchtern, damit sie sich dann um so besser in die Herde einfügten, nicht anders als die Verdunkelungsanordnungen, wenn zur gleichen Zeit der Marktplatz hell erleuchtet blieb, wie sie ihm wieder und wieder versicherte. Über seine Ängstlichkeit habe sie gelacht, und als zu guter Letzt eine Freundin aus Bihac´ oder Banja Luka am Telephon war und sie warnte, am dortigen Militärflughafen sei soeben eine ganze Staffel gestartet, nannte sie ihn immer noch einen Feigling, obwohl die Fenster schon klirrten, als sie aufgelegt hatte, und ein zunehmendes Dröhnen von draußen hereindrang. Nicht daß sie ihn damit beeindruckt hätte, aber von da an harrte er gewöhnlich bei ihr aus, damit sie nicht allein war, mochte er den Nachbarn auch noch so verdächtig erscheinen, wenn er die Warnungen nicht beachtete, kauerte sich mit ihr in einer Ecke zusammen, bis der Lärm fast unerträglich wurde, sich einen Augenblick scheinbar abschwächte und schließlich in einer regelrechten Explosion zerbarst, wenn die Bomber im Tiefflug über die Dächer hinwegdonnerten, als würden sie genau über ihren Köpfen die Schallmauer durchbrechen.
    Die Witwe schenkte sich stets einen Likör ein, wenn es vorbei war, und er sei ans Fenster getreten und habe hinausgeschaut in eine Welt, die ihm jungfräulich vorgekommen wäre wie nie, über den Dächern ein Flimmern, stelle ich mir vor, am Horizont, kaum größer als ein Mückenschwarm, ein paar sich schnell entfernende Punkte, und dann nur mehr die Stille, der riesige Himmel und weit und breit keine Menschenseele, bis die Stadt aus ihrer Ohnmacht erwachte und es einem Wunder gleichkam, als versuchsweise, wie es schien, die ersten Autos anfuhren.
    »Aber Zagreb ist doch nie bombardiert worden?«
    Das sagte ich, ohne nachzudenken, auch wenn ich sofort merkte, wie Paul mich, eine weitere, noch nicht angezündete Zigarette in der Hand, mit schief gelegtem Kopf ansah.
    »Ich glaube mich an mindestens einmal zu erinnern.«
    Trockener hätte er es nicht konstatieren können.
    »Soviel ich weiß, war das mit Raketen.«
    Ich wartete, und er fuhr fort, sprach jetzt wie vor einem größeren Publikum, als läge es in seiner Verantwortung, nur nichts zu vergessen.
    »Es scheint lange davor schon einen Fliegerangriff auf den Präsidentenpalast gegeben zu haben, aber gerade da dürfte Allmayer weg gewesen sein«, sagte er. »Vielleicht ist das der Grund, warum er darüber so distanziert geschrieben hat.«
    Die Windböen waren währenddessen stärker geworden, und wenn er sich mir beim Sprechen nicht zuwandte, verstand ich ihn nur schwer und mußte nachfragen.
    »Es war einer der Vorfälle, bei denen es gleich danach hieß, sie seien von den Angegriffenen selbst inszeniert worden, um mit ihnen Aufmerksamkeit zu erlangen«, fing er noch einmal an. »Dahinter steckt natürlich Propaganda, die in diesem Fall allein schon deshalb so unverfroren wirkt, weil zu der Zeit überhaupt nur die Bundesarmee Flugzeuge gehabt hat.«
    Mir fiel einmal mehr auf, wie sehr er sich Mühe gab, nicht den üblichen Jargon zu verwenden, möglichst nicht von den Serben oder den Kroaten zu sprechen oder, wenn es unabdingbar war, nicht den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen, daß er die Begriffe rein geographisch verstand. Er hatte sich vor mir nicht nur einmal darüber erregt, wie selbstverständlich die Zeitungen auch bei uns die Unterscheidung übernahmen, die nichts anderes war als die sprachliche Frontlinie, ohne sich jemals wirklich Rechenschaft darüber abzulegen, worauf sie beruhte. Daß bei seinen Umschreibungen auch gewundene Sätze herauskamen, nahm er in Kauf, und ich erinnerte mich daran, wie penibel er werden konnte, wenn er nachfaßte, genau wissen wollte, wie etwas gemeint war, und dabei manchmal wie ein Musterschüler wirkte, der gelernt hatte, als erstes immer die Bedeutung der verwendeten Wörter in Frage zu stellen, auch wenn damit noch gar nichts oder jedenfalls nicht viel getan war.
    Deshalb erschien es mir geradezu vertraut, als er plötzlich über die Angst im Krieg zu räsonieren begann und sofort alles, was er darüber gehört hatte, über den Haufen zu werfen versuchte.
    »Es wird immer davon gesprochen, die Stille vor oder nach einem Angriff sei das Schlimmste, aber in Wirklichkeit klingt das viel zu poetisch«, sagte er. »So etwas kann wahrscheinlich nur Leuten einfallen, die noch nie richtigen Gefechtslärm um die Ohren

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