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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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dabei vorzusehen, es nicht allzu bitter klingen zu lassen. »Sonst müßte ich annehmen, sie hat ihn später noch getroffen und weiß deshalb so viel.«
    Dann sprach er darüber, wie sie erzählt hatte, er sei eines Tages wach geworden und habe auf der bis dahin blinden, kahlen Wand des gegenüberliegenden Hauses einen Spruch entdeckt, in riesigen Blockbuchstaben, der ihn, von der Witwe übersetzt, trotz seiner Banalität lange nicht losließ.
    »Liebster, komm zurück, ich warte auf dich.«
    Er hielt ein paar Augenblicke inne, wie um die Worte richtig zur Wirkung kommen zu lassen, bevor er einen Ton plötzlichen Angerührtseins anschlug.
    »Das soll er dort gelesen haben«, sagte er, ohne sich darum zu kümmern, wie kolportagehaft es wirken mußte. »Angeblich ist es mit zerronnenen Initialen unterschrieben gewesen, zu denen er später immer passende Namen gesucht hat.«
    Da waren schon Tage und Wochen Soldaten verladen worden, und die eilig requirierten, abfahrbereiten Busse und Lastwagen voller betreten grinsender Männer müssen ihm ein vertrautes Bild gewesen sein, noch bevor die ersten Sandsäcke in der Stadt auftauchten, die Panzersperren an den wichtigsten Kreuzungen, bevor da und dort Fenster verbarrikadiert oder mit Papierstreifen verklebt wurden und es hieß, man hätte die Brücken über die Save vermint, wer es sich leisten konnte, habe seine Familie nach Wien oder an die italienische Riviera geschickt, und die anderen würden in den Geschäften Schlange stehen und anfangen, Lebensmittel zu horten. Es war genauso, wie er es von vergangenen Kriegen gelesen hatte, und er konnte sich noch so oft sagen, aber das gibt es ja nicht, das ist doch Zagreb, ein Katzensprung bis zur österreichischen Grenze, es half nichts, eines kam zum anderen wie gemäß einem streng vorgeschriebenen Programm, und es war sicher kein Zufall, wenn ihm auf einmal unter den aus allen Ecken des Landes eintreffenden Flüchtlingen die vielen Schwangeren auffielen, die Frauen mit Kinderwagen, als wären sie die üblichen Begleiterscheinungen einer sich wie nach dem Lehrbuch anbahnenden Katastrophe. Auch daß ihm die verquersten Gerüchte plötzlich nicht mehr so abwegig erschienen, gehörte dazu, die ängstlich oder mit einem wohligen Schauern geäußerten Befürchtungen, es gebe in der Stadt eine fünfte Kolonne, Scharfschützen in den verlassenen Wohnungen von Armeeangehörigen, ganze Maschinengewehrnester auf den Dächern im Zentrum, und wenn er über die Patrouillen zuerst noch gelacht hatte, die über Nacht an den unwahrscheinlichsten Orten aufmarschiert waren, die schlecht organisierten Haufen, von denen es hieß, sie seien mit Waffen aus den Revolutionsmuseen ausgerüstet oder hätten überhaupt Gewehre, die seit fast fünfzig Jahren auf Dachböden und in Kellern verrotteten, begann er allmählich zu begreifen, wie beunruhigend gerade diese auf den ersten Blick noch so harmlos wirkenden Zeichen waren.
    Die Witwe habe auf alles erstaunlich nüchtern reagiert, sagte Paul, geradeso, als bräuchte sie sich in ihrem Alter ohnehin keine Sorgen zu machen.
    »Sie hat immer betont, schon ganz andere Dinge erlebt zu haben und sich von ein paar Halbstarken nicht beeindrucken zu lassen, nur weil sie meinten, Krieg spielen zu müssen«, versicherte er mir. »Da war es viel, daß sie schließlich immerhin zugab, die Situation sei vielleicht doch ein bißchen überspannt.«
    Das war eine Formulierung, über die er selbst lachte, und er sprach das Wort mit einem Akzent aus, wie wenn er sie imitieren wollte, als er fortfuhr, Allmayer habe es von ihr übernommen und mit ihm auch ihre Haltung.
    »Sie muß sich alles Drastische von ihm verbeten haben.«
    Er ruderte mit den Händen in der Luft herum, als genügte es nicht, was er sagte, und er tastete zwischen den Sätzen verzweifelt nach Halt.
    »Für sie scheint es eine Stilfrage gewesen zu sein.« Damit soll auch der erste Fliegeralarm vor allem die Erleichterung gebracht haben, daß endlich eingetreten war, was man so lange erwartet hatte, und er schüttelte angeblich nur den Kopf, als sie geradezu liebevoll von den armen, irregeleiteten Narren sprach, die dafür verantwortlich waren, und daß man sie wie Freunde empfangen sollte, wenn sie persönlich auftauchten, mit Blumen und Küssen. Er konnte tun, was er wollte, sie sei nicht zu bewegen gewesen, in den Schutzraum zu gehen, es wäre nur Panik, sagte sie, unmöglich, daß die Stadt angegriffen wurde, egal, wie es um den Rest des Landes stand,

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