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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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in dem Unfallwagen gelegen war, dem zu einem dicken Packen angeschwollenen Konvolut mit seinen Notizen und den Kopien von Allmayers Artikeln, die er auf der Fahrt dabeigehabt hatte.
    »Darauf steht in riesengroßen Blockbuchstaben und mit einem dicken Kreuz zweimal durchgestrichen Jugoslawien«, sagte sie, als wollte sie es selbst nicht glauben. »Auf eine noch blödere Weise symbolbeladen könnte es kaum sein.«
    Von einem Augenblick auf den anderen hatte sie eine unerwartete Heftigkeit gepackt, und die beiden jungen Frauen, die sich mit uns einen Tisch im Garten teilten, unterbrachen ihr Gespräch und sahen sie an. Sie war nicht lauter geworden, aber trotzdem rundum zu hören, wie sie jetzt über ihn sprach, weniger mit dem Stolz auf ein Kind, das die ersten Schritte tat, als vielmehr mit einer kaum verhohlenen Verachtung. Dabei schien nicht einmal er selbst sie so weit gebracht zu haben, sondern die Erinnerung an Allmayer, die genügt hatte, um auch auf ihn ein anderes Licht zu werfen.
    »Er ist seit dem Unglück im Kosovo kaum wiederzuerkennen gewesen«, behauptete sie. »Während er sich davor überhaupt nicht dafür interessiert hat, was dort geschah, schien es für ihn auf einmal nichts anderes mehr zu geben.«
    Obwohl ich mich noch genau daran erinnerte, wie zurückhaltend Paul selbst mit dem Wort umzugehen versucht hatte, entgegnete ich ihr, er habe in Allmayer immerhin einen Freund verloren, und ich mußte gar nicht hinschauen, um zu wissen, daß sie mich ansah, als hätte sie mich nicht richtig verstanden.
    »Von dem könnte ich dir etwas ganz anderes erzählen«, sagte sie dann. »Weißt du, daß er mich gleich nach unserem Treffen angerufen hat?«
    Ich schwieg, und sie fuhr fort.
    »Allem Anschein nach hätte er mich gern in sein Bett gezerrt, auch wenn er am selben Abend noch mit mir umgesprungen ist, als wäre ich der letzte Dreck.«
    Das war es aber nicht, was sie wirklich beschäftigte, sondern die Tatsache, daß Paul von einem Tag auf den anderen begann, ihr Fragen zu stellen wie er, die gleichen unsinnigen Nachforschungen anzustrengen, wo sie gewesen war, zur Zeit der schlimmsten Kämpfe in Kroatien, und was sie damals getan hatte, sie wieder und wieder mit Vorwürfen zu bedrängen, sich ein schönes Leben gemacht zu haben, während ihre Leute, wie er sagte, vor die Hunde gingen.
    »Er hat den Unsinn von ihm übernommen.«
    Ich wunderte mich, weil er vor mir nicht nur einmal den größten Abscheu darüber bekundet hatte, sie wegen nichts und wieder nichts wie eine Verräterin zu behandeln.
    »Er wird dir doch nicht vorgeworfen haben, daß du nicht deinen eigenen Kopf hingehalten hast«, sagte ich. »Dann hätte er dich mit gleichem Recht für die ganze Welt verantwortlich machen können.«
    Ich weiß nicht, ob es Herablassung war, aber sie antwortete mit einer Ungeduld, die weniger mit mir als mit ihr selbst zu tun hatte.
    »Vielleicht ist es ihm genau darum gegangen.«
    Der Gedanke schien ihr gerade erst gekommen zu sein.
    »Ich habe das wirre Zeug jedenfalls irgendwann nicht mehr hören können, das er sich aus allem, was ich ihm von mir erzählt habe, zusammengereimt hat«, versuchte sie, mir ihr Unbehagen zu erklären. »Dabei wäre es mir noch egal gewesen, wenn er sich nicht so weit verrannt hätte, ernsthaft zu glauben, er wüßte damit etwas über mein Leben.«
    Das war schon draußen, irgendwo in der Stadt, nachdem wir aufgestanden und gegangen waren, aber mir wurde erst nach und nach klar, was sie meinte. Es war immer voller geworden im Café, und als am Eingang zum Garten auch noch ein Straßensänger aufgetaucht war, um für ein paar Pfennig seinen abgestandenen Weltschmerz zur Gitarre zu verkaufen, hatte uns nichts mehr gehalten, und ich war die ganze Zeit, in der wir umhergeschlendert sein müssen, wieder das Gefühl nicht losgeworden, etwas stimmte nicht mit ihrer Nähe, obwohl sie diesmal mit mir sprach, wie sie sonst vielleicht eher mit einer Frau sprechen würde und nicht mit einem Mann, es sei denn, sie hätte mit ihm geschlafen und flüsterte ihm das im Bett zu, ehemals streng bewahrte Geheimnisse, die in der Aufgelöstheit eines Morgengrauens die banalsten Anekdoten waren. Vielleicht lag es an mir, und ich zog sie an, diese Art von Ungeschütztheit, in der sie mich zu ihrem Vertrauten machte, und bemerkenswert daran war nur, wie anders sie mir dadurch erschien, weniger bestimmt als gerade noch unter Leuten, wo sie gewirkt hatte, als wüßte sie genau, was sie wollte.
    Ohne

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