Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
Vom Netzwerk:
gleich wieder an, ein atemloses, gekünsteltes Prusten, das nicht mehr aufhören wollte, und ich war froh, daß genau da die anderen nach ihr riefen und sie aufstand und mich fragte, ob ich mitkommen wollte. Ich sah, wie ihr einer von den Kerlen, der mir vorher bereits aufgefallen war mit seinem im Wind fliegenden Haar, eine Dose Bier zuwarf, und sie war schon in der Runde verschwunden, als ich mich nein sagen hörte und daß ich noch zu tun hätte, obwohl es nicht stimmte und ich ahnte, ich würde in irgendeinem Kino in der Spätvorstellung enden und mir hinterher ein Lokal suchen, in dem man mein Alleinsein nicht als etwas Obszönes empfand, und erst, wenn es draußen hell wurde, mit einem Krimi einschlafen. Es mochte nicht das sein, was man unter einem gelungenen Abend verstand, aber für gewöhnlich konnte ich gut damit leben, auch wenn es mich jetzt irritierte, als ihre Stimme zu mir herüberdrang und ich den Eindruck hatte, sie sprach über mich, weil sich alle Köpfe nach mir umwandten und ich sogar ein paar Wortfetzen aufzuschnappen glaubte und an mir heruntersah und merkte, daß ich für den noch schön gewordenen Tag viel zu warm angezogen war und meinen unnötigen Regenschirm wie ein Instrument für welche Operationen auch immer in der Hand hielt.
    Es stimmt vielleicht nicht, aber ich bilde mir ein, unser Umgang miteinander war da schon ein für alle Mal festgelegt, und die folgenden Treffen ähnelten dem ersten, weil immer Paul im Mittelpunkt stand, ja, selbst wenn wir ihn einmal gar nicht erwähnten, immer er es blieb, um den es ging, ob sie gerade auf dem Weg zu ihm war, um ihn in der Rehabilitationsklinik zu besuchen, in der er schließlich landete, irgendwo in Tirol, oder ob sie von dort mit den neuesten Nachrichten zurückkam. Mitunter scheint es mir, ich bin ihr danach nie mehr so nahe gewesen wie an diesem Tag, und möglicherweise war das genau das Problem, ihre fast schon beleidigende Offenheit ganz am Anfang, die es später gar nicht nötig machte, daß sie mich wieder und wieder an ihn erinnerte und mir von seinen Fortschritten erzählte. Wäre er nicht gewesen, hätte die Art und Weise, wie wir uns miteinander unterhielten, eher in eine schlecht beleuchtete Bar gepaßt, irgendwann nach Mitternacht, als in einen sonnenhellen Nachmittag, und ich frage mich, ob das Zufall war oder ob sie es so gesteuert hat, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
    Als ich sie gleich am nächsten Morgen anrief und mich mit ihr im Café Unter den Linden verabredete, war ihr erster Satz, sobald sie mir gegenüberstand, sie habe mit ihm telephoniert, und er schien wohlauf zu sein. Sie erwähnte nichts davon, ob sie meine Grüße ausgerichtet hatte, noch, ob er wußte, daß wir uns trafen, und fing, bevor sie richtig Platz genommen hatte, an zu erzählen, daß er in ein paar Tagen endlich aus dem Rollstuhl konnte und Krücken bekam und überhaupt auf die Therapie, wie sie sich ausdrückte, hervorragend ansprach. Es lag etwas Verbissenes in dem medizinischen Jargon, den sie auf ihn anwandte, als könnte sie den Schrecken damit von sich fernhalten, und ich versuchte mir vorzustellen, wie er die Klinikgänge auf- und abturnte, in den Garten hinaustappte, den es wohl gab, dort in der Mittagssonne saß und nach Wochen zum ersten Mal die Zeitung las, sie nicht nur apathisch durchblätterte, ohne sich um viel mehr als um die Bilder zu kümmern, wie er es bisher getan hatte.
    Ich hörte ihr wortlos zu, und als sie fertig war, schaute sie selbst eine Zeitlang schweigend umher, nur um dann doch noch eine Art Resümee zu ziehen.
    »Das Wichtigste ist, daß er wieder sprechen kann«, sagte sie. »Es muß schrecklich für ihn gewesen sein, als sein ganzer Mund verdrahtet war und er kaum hat essen können, geschweige auch nur eine Silbe von sich geben.«
    Ich verbiß es mir, die Abbildungen mit Kopfverletzungen zu erwähnen, die ich vor kurzem in einem Bildband über den Ersten Weltkrieg gesehen hatte, die Portraits der Schwerverwundeten, denen anstelle ihres Gesichts nur ein gurgelndes, schwarzes Loch ins Nichts geblieben war, und fragte sie statt dessen, ob er schon wieder allen mit seinem unentwegten Gerede über seinen Roman auf die Nerven ging.
    Zuerst zögerte sie, als wollte sie sich dagegen verwahren, aber die Frage, die sie dann stellte, hätte nicht zweideutiger sein können.
    »Meinst du, das wäre ein Lebenszeichen?«
    Ich lachte nur, und sie erzählte, daß er sich nach seiner Flügelmappe erkundigt hatte, die

Weitere Kostenlose Bücher