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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Zweifel fing es damit an, daß sie über ihren Mann sprach, den Paul nie erwähnt hatte, und so lächerlich das auch sein mag, ich erinnere mich noch genau daran, wie wenig es mir gelang, meine Überraschung zu verbergen.
    »Du warst verheiratet?«
    Absehbarer hätte meine Frage nicht sein können, und genauso war ihre erste Reaktion, obwohl sie ihr einen überdrehten Ton gab, als würde ihr schlagartig klar, wie ungewöhnlich mir das erscheinen mußte.
    »Eigentlich kann ich es selbst kaum mehr glauben.« Dann lachte sie, als wollte sie sich verteidigen.
    »Ich war noch ein Mädchen.«
    Das traf mich, daß ich mich in acht nehmen mußte, nicht mit der Wehmut eines unverbesserlichen Nostalgikers zu antworten, und sie statt dessen fragte, wie alt sie damals war, aber sie winkte ab.
    »Ich weiß nicht, was das soll«, fiel sie mir ins Wort. »Das heißt doch nicht, daß ich mich an mir selbst vergangen habe.«
    Dann fuhr sie fort, ich hätte fast so darauf reagiert wie Paul, als er davon gehört hatte, mit dem gleichen Anfall von Eifersucht, nur daß er am Ende so weit gegangen war, die abstrusesten Verbindungen herzustellen, hatte es angeblich doch genügt, ihm zu erzählen, daß sie zu Beginn des Krieges mit ihrem Mann ein paar Wochen lang in Amerika herumgefahren war, um ihn völlig außer sich zu bringen.
    »Er hat mich stets von neuem gefragt, wo ich damals gewesen bin, und ich habe ihm immer den gleichen Spruch wiederholen müssen«, sagte sie, und es war ihr anzumerken, wie sehr es sie störte, daß sie sich nicht mehr dagegen gewehrt hatte. »Da ist es für ihn schnell zu einer Genugtuung geworden, wenn ich brav geantwortet habe, in der großen, weiten Welt.«
    Ich sah sie ungläubig an.
    »Das hat er von dir hören wollen?«
    Ich wünschte mir, sie würde nein sagen, aber sie war plötzlich stehen geblieben und hatte, den Kopf auf eine Weise schief gelegt, daß ich schon fürchtete, sie könnte aus dem Gleichgewicht geraten, meinen Blick spöttisch erwidert.
    »Er hat sogar auf dem Wortlaut bestanden«, war dann ihre Antwort. »Dabei ist es ihm nicht einmal zu blöd gewesen, die kleinste Abweichung sofort zu korrigieren.«
    Ich hätte am liebsten ihre Hand genommen, aber ich wagte es nicht und ging schweigend neben ihr her, als sie wieder lostrabte. Sooft sie langsamer wurde, weil ihr etwas nicht einfiel oder weil sie sich versichern wollte, daß sie meine Aufmerksamkeit hatte, zupfte sie mich am Ärmel oder berührte leicht meinen Ellbogen, aber wenn ich darauf reagierte, schrak sie jedesmal zurück. Dabei war ich ohnehin so sehr auf sie konzentriert, daß ich nicht wußte, welchen Weg wir gegangen waren, und mich wunderte, als wir an die Alster gelangten und, kaum über der Kennedybrücke, vor einem Regenguß Zuflucht suchen mußten, nur um uns unter einem ihrer Bogen mit der Verlegenheit von zwei Zwölfjährigen wiederzufinden, die zum ersten Mal allein in einem Raum waren. Zumindest erschien es mir so, weil sie meinen Blicken auswich, über die zersplitternde Wasseroberfläche schaute und hin- und hertrippelte wie damals, als ich sie am Neuen Pferdemarkt mit Paul an der Kreuzung stehen gesehen hatte.
    Da erzählte sie dann, sie sei eines Tages tatsächlich in einem Hotelzimmer ausgerechnet in Las Vegas wach geworden, noch halb benommen von einer durchtanzten Nacht, und habe im Fernsehen bei abgedrehtem Ton brennende Häuser gesehen, einen Panzer, wie er sein Rohr schwenkte, bevor ein Ruck durch ihn ging, und eine Rauchwolke, die in der Ferne aufstieg, und, ob ich es glauben wollte oder nicht, auf einmal die Felder erkannt, die weite Hochebene vor dem im Dunst liegenden Gebirgszug im Hintergrund, wo sie als Kind in den Sommerferien barfuß umhergelaufen war und jung gewesen sein mußte, wie es dort lange niemand mehr sein würde.
    »Ich habe sofort bei meinen Eltern angerufen«, sagte sie, und bevor sie weitersprach, zögerte sie, wie um ihre Worte abzuwägen. »Mein Vater war dran, und als er kaum meinen Namen herausgebracht hat, sind mir die Tränen gekommen.«
    Er brauchte gar nicht davon zu reden, daß ihre Großmutter in ihrem Dorf in der Nähe von Zadar in Gefahr war, in die Hände der auf die Stadt vorrückenden serbischen Marodeure zu fallen, und den Geschützdonner hörte, sie hatte ihren Entschluß schon gefaßt und wollte so schnell wie möglich heim.
    »Zum Glück ist es mir gelungen, noch für denselben Tag einen Flug zu ergattern«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht, was ich sonst getan

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