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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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die sie aufhatte, mit ihrem randlosen Gestell, brauchte sie vielleicht gar nicht, mochte nur ein Teil dessen sein, was sie darstellen wollte, ein Mittel mehr, niemanden zu nah an sich herankommen zu lassen. Wenn sie von Zeit zu Zeit aufstand und für ein paar Augenblicke in der Küche verschwand oder die wenigen Schritte zur Wand gegenüber ging und sich dort an eines der Bücherregale lehnte, konnte sie uns anschauen, als wunderte sie sich, woher wir gekommen waren.
    Aus irgendeinem Grund fragte ich mich von Anfang an, wie sie sich wohl in der Wohnung bewegen mochte, wenn sie allein war, wie ans Fenster treten und hinausblicken auf die kaum belebte Straße drunten, wie sich auf dem Sofa ausstrecken und die Zeitung lesen oder nur daliegen und über sich auf die Decke starren. Nicht daß es mich zum ersten Mal ansprang, dieses geradezu haltlose Staunen angesichts eines anderen Lebens, von dem ich nichts wußte, aber etwas an ihr ließ mich mehr als sonst denken, so, wie sie ging, konnte sie nicht nur für sich gehen, so, wie sie dastand, nicht für sich dastehen, noch war ihr Lachen ein Lachen für sie selbst, wenn sie den Kopf leicht schief legte und ihre Augen glänzten, als würde sie jeden Moment zu weinen anfangen. Es war ihre Haltung und deren Vergeblichkeit, die mich augenblicklich rührten, und ich schaute sie immer wieder an, wie wenn ich es nicht glauben könnte und mir erwartete, sie plötzlich in sich zusammensacken zu sehen.
    Ich hatte gleich beim Hereinkommen nach Zeichen von Allmayer gesucht und keine gefunden, außer vielleicht in den Regalen die Bücher, die wahrscheinlich nicht alle von ihr waren. Es gab keine Photos von ihm, auch keine, die sie später hervorgeholt hätte, weder irgendwelche touristischen Mitbringsel aus den unglaublichsten Weltgegenden, in die es ihn über die Jahre verschlagen hatte, noch Souvenirs aus einem der Kriege, Patronen, scharf oder unscharf, zu einem Aschenbecher stilisierte Granathülsen oder gar einen Stahlhelm mit einem vorführbaren Durchschußloch. Auch sein Arbeitszimmer, in dem sie seit seinem Tod kaum etwas angerührt hatte, zeigte nicht viel von ihm, oder damit gerade das, was auf den ersten Blick am meisten über ihn auszusagen schien, weil es bis auf die notwendigsten Möbel vollkommen leer war, ein Tisch, ein Stuhl, eine Couch, sonst hatte sich auch zu seinen Lebzeiten angeblich nichts darin befunden, und als ich die Sonnenvierecke auf dem Parkettboden sah, spitzwinklig verzerrt, und darüber die im Licht tänzelnden Staubpartikel, konnte ich in der plötzlichen Verlorenheit nicht anders, als mir vorstellen, daß sie ihm manchmal, wenn er von irgendwo zurückgekommen war, Blumen auf das Fensterbrett gestellt hatte, eine ganze Vase voll, und daß auch das Bild von ihr sein mußte, das exakt in der Mitte einer der sonst kahlen, grellweißen Wände hing, das verwaschene Aquarell von einem mit hängendem Kopf im tristesten Nieselregen dahintrottenden Hund, ganz und gar unwirklich und mit dem passenden Titel Ghost Dog darunter .
    Ich weiß noch, wie Isabella sagte, wir sollten nur keine voreiligen Schlüsse ziehen und einen Beweis wofür auch immer darin sehen, als sie die Tür zu dem Zimmer öffnete und uns hineinschauen ließ.
    »Er ist nicht der Eigenbrötler gewesen, als der er vielleicht erscheinen mag«, fügte sie hinzu und brachte damit das Wort erst ins Spiel. »Viel eher hat er manchmal einen geradezu kannibalischen Hunger nach dem Leben gehabt.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich mich nicht verhört hatte, und sah Paul an, aber bei dem offenem Mund, mit dem er sie anstarrte, gab es wenig Zweifel, sie mußte genau das gesagt haben. Ob es sich nur um einen Spruch handelte oder ob sie sich mehr dabei dachte, ich fragte nicht nach, und auch er schwieg und ließ sich nach der ersten Überraschung nichts anmerken. Darin war er gut, trotz seiner anfänglichen Verlegenheit, als er ihr erklären sollte, was er von ihr wollte, und ich ahnte, von mir brauchte er nur Zustimmung, es reichte, wenn ich von Zeit zu Zeit seinen Blick suchte und ihm zunickte, ohne daß es ihr auffiel.
    Trotzdem kam das Gespräch, solange weder sie noch er den Toten direkt erwähnte, nur stockend in Gang. Aber auch als er damit anfing, von ihm zu reden, beschränkte er sich zu lange auf Höflichkeiten, harmlose Erinnerungen, was sie zusammen alles erlebt hätten, die sie immer ratloser machten und an denen sie nur registrierte, wie ungeschickt er versuchte, sie für sich zu gewinnen,

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