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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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mich geradeso, als wären sie von ihr nur erduldet worden, um unsere Bekanntschaft wieder so unverbindlich zu machen, wie sie vor Pauls Unfall war, ein paar Sätze über sein Befinden, und darüber hinaus schien ihr hauptsächlich daran gelegen zu sein, nur kein wirkliches Gespräch aufkommen zu lassen, damit sie mir bei seiner Rückkehr mit genau dem gleichgültig abweisenden Blick gegenübersitzen konnte, den ich am meisten fürchtete. Sie war bei ihm, als ich ihn zum ersten Mal wiedersah, und gab sich den Anschein, kaum Notiz von mir zu nehmen, erging sich in einem nicht anders als penetrant zu nennenden Schweigen, wie um damit doppelt zu zeigen, daß es von nun an wieder eine Sache zwischen ihm und mir sein würde. Es war in dem Café in Ottensen, und ich wußte nicht, ob es ein Zufall sein konnte oder nur ein Hinweis darauf, daß sie sich abgestimmt hatten, als er nach der Begrüßung als erstes darauf zu sprechen kam, wie oft ich in seiner Abwesenheit mit ihr zusammen gewesen war.
    »Ich hoffe, du freust dich, daß ich wieder da bin«, sagte er. »So schnell, wie du vielleicht gedacht hast, trete ich dann doch nicht ab.«
    Er kehrte von Anfang an eine brüske Jovialität hervor, geradeso, als hätte er überhaupt kein Gespür mehr für Nähe und Distanz, die Aufdringlichkeit unserer ersten Begegnungen, die er mit seinem plötzlich losbrechenden Lachen nur verstärkte. Ich wartete, daß er aufhörte, auf mich einzureden, zumal ich ihn manchmal kaum verstand, so sehr nuschelte er, verschluckte er Silben und spuckte beim Sprechen. Dabei faßte er mich mit der größten Selbstverständlichkeit an, und wann immer er meinen Arm packte, als wollte er von mir Besitz ergreifen, legte Helena ihm eine Hand auf die Schulter und ließ sie dort liegen, bis er ihr mit einer nachlässigen Bewegung zu verstehen gab, daß er es nicht wollte, oder sie nur wortlos ansah und sie von sich aus zurückzuckte.
    Obwohl es nicht die Jahreszeit war, Anfang des Winters, hatte er eine Gesichtsfarbe, wie wenn er gerade aus den Ferien kommen würde, und noch bevor ich ihn danach fragen konnte, hatte er gesagt, es ginge ihm gut, auch wenn er dann bei jedem Schritt in der Hüfte einknickte, als er auf die Toilette mußte, ein Bein kürzer als das andere. Ich mochte mir nicht vorstellen, daß er damit kokettierte, doch gab er auch ungewollt die Parodie auf einen Kriegsheimkehrer ab, mit diesem Gebrechen, das er durch sein Auftreten allem Anschein nach auszugleichen versuchte. Für mich hatte es etwas sehr Gewolltes, als er einen Flachmann aus der Jacke hervorzog und einen Schuß Cognac in seinen Kaffee goß oder als er sich vom Nebentisch eine Zigarette besorgte, sie anzündete, dann aber umständlich im Aschenbecher ausdrückte, statt sie verglimmen zu lassen, wie ich es von ihm kannte, und auf eine Art sagte, die Ärzte hätten ihm das Rauchen verboten, als würde er sich selbstverständlich nur zum Spaß daran halten.
    Ich kann mich nicht erinnern, daß er bei dieser Gelegenheit viel über Allmayer oder seinen Roman geredet hätte, und als ich ihn kurz vor dem Gehen danach fragte, sagte er wörtlich, er habe Vorarbeiten geleistet, seit er nicht mehr in der Klinik sein mußte, und setzte ein selbstzufriedenes Lächeln auf, um dann wieder alles halb zurückzunehmen und von reinen Fingerübungen zu sprechen. Bereits am übernächsten Tag lag aber ein in einer österreichischen Zeitung erschienener Artikel bei meiner Post, und ich hatte ihn kaum gelesen, als er schon anrief und sich sofort erkundigte, was ich davon hielte. Ich ahnte, daß er nicht aufhören würde zu drängen, und versuchte, ihn mit ein paar Worten zufriedenzustellen, was aber nur zur Folge hatte, daß er mehr und mehr hören wollte.
    Es war ein Bericht über die Photos von Alice Schalek, die er bei einer Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien gesehen hatte, mit seinen nicht weiter aufregenden und halb aus der Fackel abgeschriebenen Gedanken über den Unterschied zwischen einem Kriegsberichterstatter und einem Reisejournalisten, ausgelöst von den Arbeiten der Frau, die beides zu sein versucht hatte, eine regelrechte Schlachtenbummlerin im Ersten Weltkrieg und eine Entdeckerin der letzten exotischen Plätze auf den verschiedensten Kontinenten in den Jahren davor und danach. Ohne die Bilder zu kennen, ließ sich nicht sagen, ob er mit der These recht hatte, daß der Frieden bei ihr wirkte wie der Krieg, der Krieg wie der Frieden, eine Reisegesellschaft am Toten Meer mit sich

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