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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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unterdrücken, und fürchtete schon, er würde etwas in der Art erwidern, daß Allmayer sich früher nicht so angestellt hätte, aber er schwieg, bis sie fortfuhr, er habe ihr am Anfang kaum etwas von sich erzählt.
    »Nicht daß das viel geändert hätte, aber dadurch bin ich eine ganze Weile vollkommen im unklaren darüber geblieben, was er eigentlich macht.«
    Dahintergekommen sei sie erst, als sie in seinem Notizbuch herumgeschnüffelt hatte, einem dünnen Heftchen mit karierten Blättern, in dem nur die ersten paar Seiten vollgeschrieben waren. Begonnen habe es mit seiner Eintragung Županja, 31. Dezember 1995 , was keinen Monat her gewesen war, sowie dem Ausruf darunter, die Amerikaner, endlich, die Amerikaner, wenn auch drei Jahre zu spät, und sie habe sich nach und nach zusammenbuchstabiert, daß es um den Einmarsch von Truppen nach Bosnien ging, und erst später den Grenzort an der Save ganz im Osten von Kroatien im Atlas gefunden. Als sie las, daß er schon von weitem den Lärm von Hunderten von Panzern gehört und dann im Näherkommen die wartend aufgereihten Fahrzeuge gesehen habe, seien ihr die Augen aufgegangen, und sie versuchte, sich die Szenerie vorzustellen, den gerade erst errichteten, riesigen Pontonübergang, von dem er schrieb, der von Schnellbooten in Stellung gehalten wurde, keine hundert Meter neben der im Krieg gesprengten Brücke, die im anhaltenden Regen wie unbeweglich darüber schwebenden Hubschrauber und ein einziges Schlammfeld, wo das Wasser über die Ufer getreten sein mußte und an manchen Stellen richtige Seen gebildet hatte.
    Das war das einzige, was sich in seinen Aufzeichnungen fand, die Beschreibung eines trostlosen Aufmarschplatzes, neben einer Zagreber Telephonnummer, ein paar abgekürzten Bemerkungen, die sie nicht verstand, und einem Spruch auf der vorderen Klappe, allem Anschein nach ein Zitat, das mit dem Satz Ich wollte, ich hätte ein anderes Leben gehabt begann.
    »Ich weiß nicht mehr genau, wie es vollständig gelautet hat«, sagte sie. »Aber es ist um Sentimentalitäten gegangen, die ausgerechnet mit dem Wunsch nach einem Kind geendet haben.«
    Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, fing sie noch einmal an, es habe sich um ein ziemliches Durcheinander gehandelt, Dinge wie nach Brasilien zu segeln, ein Weiser im Himalaya zu sein, oder auf einem Boot in einem Hafen, wo einen am Morgen Nebelhörner wecken und das Wasser die Sonnenstrahlen reflektiert.
    »Es ist ziemlich kitschig gewesen.«
    Die Frage, die sie dann stellte, kam überraschend.
    »Wißt ihr, wer Gavrilo Princip war?«
    Ich hatte noch nicht genickt, als Paul es schon aussprach, und es hätte nicht mehr nach Lehrbuch klingen können, mit den altbekannten Schlagwörtern, der Attentäter von Sarajevo , und daß er den Thronfolger und seine Frau ermordet hatte.
    »Was hat das mit ihm zu tun?«
    Es klang weniger brüsk, als sie es vielleicht verstand, und ich konnte mich täuschen, aber als ich genauer hinschaute, kam es mir trotzdem vor, wie wenn sie auf einmal Tränen in den Augen hätte.
    »Die Sätze sollen von ihm stammen«, sagte sie. »Angeblich hat er sie als Gefangener in seiner Zelle in Theresienstadt an die Wand geschrieben, bevor er dort umgekommen ist.«
    Ohne weitere Erklärung stand sie auf, öffnete die Tür zu einem der angrenzenden Räume und suchte nach einem Taschentuch, und mein Blick fiel auf einen mit glänzend roten Kugeln überladenen Weihnachtsbaum in ihrem Schlafzimmer. Während ich mich bemühte, nicht hin-, aber auch nicht wegzuschauen, nahm sie wieder Platz, tupfte an ihrem Gesicht herum und strich sich in einem fort unbeholfen die Hose glatt. Aufrecht, wie sie dann dasaß, die Hände auf den Schenkeln, schien sie zu warten, aber weder Paul noch ich wußte, was sagen, und sie begann davon zu reden, daß es dreieinhalb Jahre später an der Grenze zum Kosovo im Grunde genommen nicht viel anders gewesen sei als damals an der zu Bosnien, wieder ein riesiges Aufgebot von Soldaten, das in ein noch nicht wirklich befriedetes Land einrücken sollte.
    Der Unterschied für sie aber war von Anfang an, daß sie es dieses Mal selbst miterlebt hatte, weil Allmayer alle paar Stunden mit ihr telephoniert habe, zwei- oder dreimal auch aus dem Hotel in Skopje, wo er mit anderen Journalisten gewartet hatte, daß es endlich losging, sagte sie, und als sie eine Pause machte, nutzte Paul die Gelegenheit, zu erwähnen, daß er da auch noch mit ihm gesprochen habe.
    »Ich weiß«, erwiderte sie, wie

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