Das Handwerk des Toetens
unlängst erst in irgendeinem Blatt abgedruckten Bildern, auf denen der Sterbende vor aller Welt ausgesetzt am Straßenrand lag.
Erst die belgische Krankenschwester, die damals zur Stelle gewesen war, erwies sich dann für ihn als Hilfe, obwohl sie zunächst abwehrend sagte, er brauche nicht eigens nach Brüssel zu kommen, sie könnten am Telephon sprechen, und ich weiß noch, wie er mir erzählte, daß sich für ihn am Ende alles auf einen einzigen Satz zuspitzte, drei mühsam hervorgepreßte Worte, die sie ihm ein ums andere Mal wiederholt hatte.
»Muß ich sterben?«
Das habe Allmayer sie gefragt, während die Ärzte, kaum an Ort und Stelle, sich an ihm zu schaffen machten, einen Druckverband um seinen Bauch anlegten, hektisch um ihn herumtanzend die Infusionen und den Sauerstoff vorbereiteten und sie die einzige war, die ruhig blieb, seine Hand hielt und zu ihm hinunter gebeugt in seinen Pupillen schon dieses Verlöschen sah, das sie so oft gesehen hatte, den glasig werdenden Blick, der in sich selbst zurückzufallen schien.
»Du stirbst nicht.«
Zögernd, wie Paul darüber sprach, war es, als wollte er im nachhinein alles aufhalten, ihr die rettende Beschwörungsformel einflüstern, und während ich mir vorstellte, wie es ihr die Kehle zuschnürte, räusperte er sich, damit seine Rührung nicht überhandnahm.
»Du stirbst nicht, glaub mir, du stirbst nicht.«
Er hob beide Hände und verharrte ein paar Augenblicke reglos, bevor er mit einer plötzlich viel tiefer erscheinenden Stimme fortfuhr.
»Was hätte sie sonst sagen sollen?«
Ich hörte ihn kaum noch, so leise war er geworden.
»Sie muß auf ihn eingeredet haben, als ob er nur ein kleines Mißgeschick zu überstehen bräuchte und dann für immer gegen alles gefeit wäre und nichts mehr zu fürchten hätte«, sagte er. »Dabei ist er mit jedem Wort nur weiter von ihr weggerückt.«
Den Himmel darüber stelle ich mir blau vor, an dem unseligen Junitag, der vielleicht schon heiß gewesen war und am späten Nachmittag sicher noch unsäglich mild wurde, mit einer sanften, samtigen Luft, die weich über ihn hinwegstrich, und die Ungeheuerlichkeit nur um so größer machte.
»Hat er noch etwas gesagt?«
Die Frage schien Paul zu überraschen.
»Ich weiß nicht.«
Er schrak zurück, um dann gleich zu sagen, die Krankenschwester sei nicht davon abzubringen gewesen, daß sie nur für die Zeitungen erzählt hatte, der Arme habe in einem fort nach seiner Frau gefragt und nicht aufgehört, davon zu reden, wie sehr er sie liebe.
»Angeblich hat er in Wirklichkeit kein Wort darüber verloren«, setzte er nach. »Trotzdem ist es genau das, was alle hören wollen.«
Daran dachte ich, als ich nicht lange danach, am Dienstag oder Mittwoch nach Weihnachten, schließlich Isabella kennenlernte, unsicher, wie sie damit umging, und ob das melodramatische Gesäusel für sie als Allmayers Witwe vielleicht sogar einen Trost bedeutete oder ob sie darin nur eine Beleidigung sah, gegen die sie nichts ausrichten konnte.
»Zum Glück interessiert mich das Geschmiere überhaupt nicht«, sagte sie auf jeden Fall. »Ich kann mir ohne es viel besser vorstellen, wie alles war.«
Paul hatte am Anfang gezögert, dann aber doch auch mit ihr ein Treffen vereinbart und mich gebeten, ihn zu begleiten, weil er nicht wußte, wie er ihr allein gegenübertreten sollte, und ich saß da und hielt mich zurück, ließ ihn die Fragen stellen und hörte meistens nur zu, wie sie erzählte. Es war in ihrer Wohnung in der Nähe des Sternschanzenparks, die sie nach dem Unglück behalten hatte, obwohl sie für eine Person viel zu groß war, und während er unruhig auf dem Fauteuil hin- und herrutschte, in das sie ihn plaziert hatte, versank ich in meinem und genoß es, daß sie mehr mit mir zu sprechen schien als mit ihm. Immerhin wandte sie sich an mich, sobald er sie auch nur andeutungsweise drängte, als bräuchte sie keinen Stichwortgeber und würde ihre Geschichte am liebsten für einen Zuhörer reservieren, der mit jedem Wort undeutlicher wurde und schließlich verschwand.
Sie hatte sich für den Besuch herausgeputzt, trug einen dunklen Anzug, der an ihr wie eine Verkleidung wirkte, bis sie die Jacke auszog und dann in ihrem weißen Hemd breitbeinig und selbstvergessen dasaß. Den Mund hatte sie in einem hellen Rot geschminkt, auf die Wangen allem Anschein nach Puder aufgetragen, so unnatürlich bleich wirkte sie in dem Tageslicht, das durch die hohen Fenster hereinfiel, und die Brille,
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