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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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tatsächlich mit seinem Andenken bei ihr hausieren ging. Zwanghaft vermied er dabei seinen Namen, und wenn es ihr unterlief, daß sie selbst Christian sagte, stockte sie sofort, wie wenn es unpassend wäre, und bemühte sich dann, formelhaft von ihrem Mann zu sprechen, was aber nur übertrieben klang, wirkte sie in ihrer Aufmachung doch so, als wäre sie noch nicht lange aus der Schule und beabsichtigte, es zu kaschieren, indem sie die Dame hervorkehrte, ob es ihr gelang oder nicht.
    Wenn das noch Kleinigkeiten waren, drohte ein richtiges Mißverständnis, als er davon sprach, daß sie sich einmal zu dritt hätten treffen sollen, und sie zuerst nichts davon wissen wollte, dann aber von einem Augenblick auf den anderen umschwenkte.
    »Ich erinnere mich noch an die Verabredung«, sagte sie, und es schien zuerst nicht klar, ob sie nur so tat oder ob es ihr gerade wieder eingefallen war. »Leider habe ich nicht kommen können.«
    Das quittierte er nickend, aber als sie behauptete, daß Allmayer damals die ganze Nacht mit ihm allein herumgezogen sei, hatte er keine Ahnung, wovon sie sprach, und sah nur hilflos einmal mich, einmal sie an, bis sie endlich erklärte, wie sie darauf kam.
    »Er ist erst am nächsten Vormittag wieder zu Hause aufgetaucht und direkt ins Bett gefallen und dann bis zum Morgen darauf nicht mehr wachzukriegen gewesen.«
    Das Lachen, das sie anschlug, war bemüht, und er stimmte ein, wie um ihr nur nicht zu zeigen, daß er zum ersten Mal davon hörte.
    »Es muß Anfang März gewesen sein, wenn ich mich richtig erinnere, und er kam gerade aus Belgrad zurück und sollte über die Stimmung dort berichten«, sagte er dann, ohne sich auf ihren halb flapsigen, halb ernsten Ton einzulassen. »Das war noch vor den ersten Bomben auf die Stadt, und ich habe ihn danach nur mehr ein- oder zweimal gesehen.«
    Ob er wollte oder nicht, damit war er mittendrin, und ich sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck von einem Augenblick auf den anderen veränderte. Zuerst dachte ich, er könnte ihr damit zu nahe getreten sein, aber dann wurde mir klar, sie war eher erleichtert, daß er aufhörte herumzudrucksen und endlich zur Sache kam. Noch während er sprach, goß sie den Tee ein, den sie gemacht und viel zu lange ziehen lassen hatte, und ich beobachtete sie, wie sie auf geradezu zeremonielle Weise ihre Tasse mit der Untertasse anhob, einen Schluck trank, sie wieder absetzte und auf einmal steif und mit geschlossenen Beinen dasaß.
    »Es war nicht das erste Mal, daß er eine Nacht durchgemacht hat, wenn er aus dem Krieg zurückgekommen ist«, sagte sie schließlich. »Das muß für ihn das Normalste auf der Welt gewesen sein.«
    Dann erzählte sie, wie sie ihn kennengelernt hatte, und auf einmal war aller Sarkasmus verflogen, und sie sprach mit einer Behutsamkeit, die einem Kind hätte gelten können.
    »In etwas mehr als einer Woche muß es genau vier Jahre her sein«, fing sie an. »Manchmal kommt es mir so vor, als wäre das, seit er tot ist, für immer sein Alter.«
    Es war kurz nach Silvester gewesen, als er in dem Lokal auf dem Schulterblatt auftauchte, in dem sie aushilfsweise hinter der Theke gearbeitet hatte, er sei gleich am Morgen, als sie aufsperrte, vor der Tür gestanden, schon um zehn, und am Nachmittag gegen vier Uhr noch einmal, wie wenn er allen Ernstes damit rechnete, daß sie ihn hereinbitten würde. Das war ihr aufgefallen, und wie er sitzen geblieben sei, ein Buch in der Hand, lange Zeit der einzige Gast, und als er am nächsten Tag wiederkam, wußte sie, er würde das gleiche bestellen, einen Kaffee mit viel Milch, würde denselben Platz einnehmen und auf die Straße hinausblicken oder lesen und sie ansehen, wenn sie nicht hinschaute. Woran es lag, konnte sie nicht sagen, aber sie habe ihn von da an nicht mehr aus dem Kopf bekommen, begann darauf zu warten, daß er eintrat, unruhig seinen Tisch freizuhalten, wenn er überfällig war, ging sogar von Zeit zu Zeit hinaus, um Ausschau zu halten, und war dann irgendwann fast automatisch mit ihm verabredet.
    Ich erinnere mich noch, wie sie zögerte, bevor sie damit herausrückte, sie habe ihn damals, am Ende eines langen Abends, vor ihrer Haustür fragen müssen, ob er sie nicht küssen wolle, weil er dagestanden sei, ohne sich zu rühren.
    »Ich bin mir nicht zu schade gewesen, es zu wiederholen, aber er hat nur genickt«, sagte sie. »Da habe ich ihn an der Hand gepackt und einfach mitgenommen.«
    Ich sah, daß es Paul kaum gelang, sein Lachen zu

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