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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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wußte nicht, ob es an der Verbindung lag oder ob er flüsterte, aber er hatte dadurch etwas von einem Kind, das nicht aufhören konnte, darüber zu staunen, wenn gleich die Sonne aufging. Als er davon sprach, daß es eine sternklare, kühle Nacht gewesen war, kam es ihr vor, wie wenn er sie nur nicht sofort erschrecken wollte, und dann habe er sich zu allem Überfluß auch noch so lange über die Wiese ausgelassen, auf der er sich befand, über die Baumreihe in der Ferne, die sie begrenzte, und die an einem Fluß entlang verlaufenden Eisenbahngeleise auf der anderen Seite, bis sie ihn fragte, was eigentlich los war.
    Denn natürlich wartete auf der Straße die Panzerkolonne, und er kam erst da auf die Soldaten zu sprechen, die, einer ausgestreckt neben dem anderen, auf dem taufeuchten Asphalt die Nacht verbracht hatten und dabei waren, ihre Schlafsäcke zusammenzurollen, auf kleinen Gasbrennern neben ihren Fahrzeugen Tee gekocht hatten und ein letztes Mal ihre Waffen überprüften. Er sagte, daß es still war, nur leise die Stimmen der Mannschaften, selbst die Offiziere hätten sich ruhig verhalten, standen untätig vor ihren Geländewagen und schauten abwechselnd auf die Uhr und hinüber Richtung Grenze. Dort waren ein paar verlorene Gestalten zu sehen, Uniformierte, auf die ohne Zweifel Dutzende von Feldstechern gerichtet sein mußten, und er machte sich über sie lustig, nannte sie ein windiges Empfangskomitee und habe dabei lachend ein paar Mal hintereinander den Namen des Ortes auf der anderen Seite wiederholt, Ðeneral Jankovic, der wie ein Scherz und gleichzeitig wie ein böses Omen klang.
    Das erzählte Isabella, als hätte sie es schon oft erzählt und die Situation von Mal zu Mal mit mehr Details ausgeschmückt. Vielleicht wirkte es deshalb auch wie geprobt, als sie eine Pause machte, und es fehlte nur, daß sie dabei die Augen schloß und ihren Kopf elegisch in den Nacken sinken ließ. Sie schaute aus dem Fenster, auf die sonnenbestrahlte Wand des Hauses gegenüber, ohne daß sie wirklich etwas zu sehen schien, als sie schließlich sagte, Allmayer hätte dann genauso gut schweigen können, der Lärm sei genug gewesen, der auf einmal losgebrochen war, und sie habe im selben Augenblick gewußt, es werde ernst.
    Es muß wie eine verzögerte Explosion geklungen haben, über den halben Kontinent hinweg bedrohlich, als der Zug sich in Bewegung setzte, Hunderte von Motoren auf einmal gestartet, in der kühlen Morgenluft, und er sagte nur, er müsse Schluß machen, habe das Telephon dann aber auf ihre Bitte noch eine Zeitlang an gelassen.
    »Ich weiß nicht, warum, aber ich wollte unbedingt zuhören.«
    Das brachte sie geradezu treuherzig hervor.
    »Eine ganze Weile war es nichts außer ein gleichmäßiges Schnurren«, fuhr sie dann fort. »Weder an- noch abschwellend, klang es nach dem ersten Schreck fast beruhigend.«
    Auf einmal wirkte sie fahrig, und während sie sagte, Allmayer habe sich dann noch einmal zu Wort gemeldet und mit merkwürdig erregter Stimme von den Hubschraubern gesprochen, einer ganzen Rotte, zehn, zwölf und noch mehr, die plötzlich irgendwo hinter den Hügeln im Süden aufgetaucht waren und den Windungen des Flusses entlang schnell näherkamen, versuchte ich mir vorzustellen, wie sie sich, den Hörer ans Ohr gepreßt, mit einem Ruck im Bett aufgesetzt hatte, um auf das zunehmende Dröhnen zu lauschen.
    »Es ist das letzte gewesen, was ich mitgekriegt habe«, fing sie schließlich noch einmal an. »Dann ist der Empfang unterbrochen worden, und ich bin nicht mehr durchgekommen.«
    Als sie sich wie erschöpft in ihr Sofa sinken ließ, erinnerte ich mich an die Photos, die zwei Tage später in den Zeitungen zu sehen gewesen waren. Eigentlich wollte ich ihr sagen, daß sie für mich etwas allzu Triumphierendes gehabt hatten, die Aufnahmen von den riesigen Ungetümen, die mit gesenkten Schnauzen daherflogen, ihre stählerne Last unter dem Bauch, Geschütze und Panzer, die an Drahtseilen wie schwerelos ausschwangen, aber als ich ihren Blick auffing und zum ersten Mal das nervöse Zittern ihrer Augenlider wahrnahm, wurde mir klar, es war nicht der richtige Zeitpunkt dafür, und ich ließ es sein. Ich schaute sie nur an, und es schwindelte mich bei der Vorstellung, was sie wohl getan haben mochte, während Allmayer immer tiefer in das verwüstete Land vorgedrungen war, wie sie ihren Tag begonnen hatte, allein gefrühstückt an dem Tisch, wo er ihr zu Hause, wenn er von seinen Reisen zurückkam,

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