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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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gegenübergesessen sein mußte, und sich dann aufgemacht in die Stadt, in ein Café oder rund um die Alster, um sich die Zeit zu vertreiben.
    Es widerstrebte ihr, von da an weiterzuerzählen, seinen Weg im Kosovo auf der Karte nachzuzeichnen. Sie sagte, sie habe sich nicht mehr darum gekümmert, genau zu erfahren, wann er wo gewesen war, und gab sich damit zufrieden, daß er am frühen Nachmittag Priština erreicht haben dürfte. Offenbar herrschte dort ein einziges Chaos, und je mehr Bilder sie danach gesehen hatte, um so schwerer fiel es ihr, sich ihn darin vorzustellen, all die Nahaufnahmen und Totalen von den zerstörten Dörfern entlang der Route, die im Fernsehen bis zum Überdruß gezeigt worden waren, Berichte von gerade noch vermiedenen Zusammenstößen mit den oft nur zögerlich abziehenden Regierungstruppen und dem siegestrunkenen Gebaren der Aufständischen, ihrem überdrehten Herumgeballere und den vereinzelten ernsthaften Schießereien, die es da und dort noch gegeben hatte, von den Stopps, die der Konvoi auf seinem Weg immer wieder einlegen mußte, wenn irgendwo ein Sprengsatz vermutet wurde, und dem unvermeidlichen Flüchtlingszug, Anhängerladungen voll Hausrat, von Traktoren gezogen, diesmal in die Gegenrichtung, nach Norden, Richtung Niš und Richtung Belgrad unterwegs, und Leute, wieder Hunderte, Tausende ohne ein Dach über dem Kopf, während die vorher Vertriebenen einfach nachrückten und deren Häuser in Beschlag nahmen.
    Allmayer habe sie den ganzen Tag immer wieder angerufen, sagte sie, ihr aber nicht wirklich etwas erzählt, so sehr in Eile sei er ständig gewesen, nur ein ums andere Mal fast schon beschwörend wiederholt, es wäre alles in Ordnung.
    »Immerhin weiß ich so von ihm, daß das Wetter schön geworden ist«, fuhr sie fort. »Denn darüber hat er noch am ehesten mit mir geredet.«
    Es folgte die sarkastische Bemerkung, dadurch könne sie wenigstens sagen, die Hitze des Tages habe sich gegen Abend in einem Hagelschauer entladen, aber ihr Lachen erstickte sofort wieder, als sie von dem strömenden Regen sprach, in dem Allmayer erst in der Dunkelheit nach Skopje in sein Hotel zurückgefahren war.
    »Dort habe ich in der Nacht zum letzten Mal von ihm gehört, weil es mir am nächsten Tag nicht mehr gelungen ist, ihn zu erreichen.«
    Während sie verstummte und draußen ein paar zähe Augenblicke lang ein Auto nicht anspringen wollte, das sich zu guter Letzt mit einem heiseren Stottern doch fing, merkte ich, daß Paul aus der Lethargie erwachte, in die er mehr und mehr verfallen war. Ich beobachtete ihn, wie er sich in seinem Fauteuil aufrichtete und sie dabei fixierte. Er schien etwas erwidern zu wollen, aber als sie zuerst mich und dann ihn abwartend ansah, verbiß er es sich, und schon war wieder sie dran und erzählte, wie wenig sie im nachhinein mit der Vorstellung zurechtkam, daß Allmayer bis zum Abend noch am Leben gewesen war und so lange alles genauso gut auch anders hätte enden können.
    »Als ich am Morgen darauf vom Telephon geweckt worden bin, war sein Chef dran«, sagte sie schließlich, wie um sich nur zu keinen sentimentalen Spekulationen hinreißen zu lassen. »Er hat nur seinen Namen nennen müssen, und ich habe alles gewußt.«
    Seither waren ihr keine neuen Details vom genauen Hergang des Unglücks zu Ohren gekommen. Ein- oder zweimal hatte sich noch jemand von der Zeitung bei ihr gemeldet, nur um ihr mitzuteilen, daß man noch immer nicht mehr wußte, aber das war auch schon im Sommer gewesen. Angeblich wartete sie längst nicht mehr darauf, daß der Photograph, der Allmayer bei seinem letzten Einsatz begleitet hatte, seine Ankündigung endlich wahrmachen würde und sich bei ihr melden, wenn er sich von seiner Verwundung erholt hatte, und ihr einziger Kommentar dazu war ein geflüstertes Wozu auch.
    Ich sah sie nicht an und lauschte nur auf die Schritte, die ich gerade noch draußen auf der Treppe vernommen hatte, aber es war still, das Haus auf einmal in einer drückenden Nachmittagsruhe, kein Rauschen in den Wasserleitungen, kein Kindergeschrei, nichts, und auch die Sonne war verschwunden, schien jedenfalls nicht mehr auf das gegenüberliegende Gebäude. Es mußten solche Augenblicke sein, in denen seine Abwesenheit hinterrücks über sie hereinbrach und sie sagen ließ, sie könne sich immer noch vorstellen, daß er unerwartet zur Tür hereinkam, obwohl ich sie nur anzuschauen brauchte, um zu wissen, daß das genaue Gegenteil der Fall war. Die Stille hatte

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