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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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erzählte sie, wie er aufs Autodach gelehnt in der Mittagshitze dagestanden war und, seinen Blick auf ein paar Hügel in der Ferne, ein Dorf, ein Stück eines Meerarms und verschwommen dahinter den Kamm des Velebit gerichtet, zum ersten Mal ernsthaft Notizen gemacht hatte.
    »Er hat sich aufgeschrieben, was auf den Ruinen gestanden ist«, sagte sie. »Dabei scheint er noch den dümmsten Spruch berücksichtigt zu haben.«
    Das konnte alles sein, und wenn es ein halb zerflossenes Zimmer frei , natürlich auf deutsch, auf der letzten stehenden Mauer eines Trümmerhaufens war, wie sie sich mokierte.
    »Manchmal hat man nicht unterscheiden können, ob die Aufschriften aus der Zeit vor dem Krieg stammten oder erst später aufgetaucht sind, aber es ist ohnehin einerlei gewesen.«
    Mehr konnte sie nicht darüber sagen, weil ich bei dieser Gelegenheit außer den paar Minuten, in denen Paul von einem Bekannten aufgehalten wurde, nicht dazu kam, mit ihr allein zu sprechen, und er dann wieder einmal die ganze Zeit selbst redete. Sie langweilte sich, ob sie nun seine Ausführungen schon gehört hatte oder sein Gehabe nicht mochte, und ich fing immer von neuem einen Blick von ihr auf und wußte, sie würde mir irgendwann alles anders erzählen. Es war nichts mehr von ihrer Unsicherheit zu merken, die mir bei unserer ersten Begegnung aufgefallen war, der Unterwürfigkeit, die ich damals wahrzunehmen geglaubt hatte, der Nervosität, mit der sie neben ihm saß, ohne aufzumucken, und wenn sie ihm jetzt ins Wort fiel oder nur stöhnte über etwas, das er daherbrachte, war es ihr offensichtlich ein Vergnügen.
    Wenige Tage darauf sah ich die beiden noch einmal, und dann sollte ich drei Monate in Berlin den dortigen Korrespondenten vertreten und hatte andere Dinge im Kopf, dachte schon, die Geschichte wäre damit für mich abgeschlossen. Ich hatte sie zu einem Besuch bei mir eingeladen, aber es blieb bei leeren Zusicherungen, und wenn ich manchmal ein Wochenende in der Stadt verbrachte, ließ ich nichts von mir hören. Es war zufällig, als ich sie das nächste Mal traf, im Café Jerusalem in den Kammerspielen, wo sie an der Theke lehnten, und es dauerte einen Augenblick, bis wir uns gegenseitig über die erste Verlegenheit hinweggeholfen hatten, so steif und überrumpelt wirkten sie, er wieder in einem Anzug, sie in einem langen, schwarzen Kleid, die Haare streng zurückgekämmt, daß ihre Backenknochen hervortraten, tatsächlich so weit auseinanderstehend, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
    Da war der erste Jahrestag von dem Unglück im Kosovo gerade vorbei, was mir allerdings entgangen wäre, hätte Paul nicht sofort davon angefangen.
    »Kannst du dir vorstellen, daß es so lange her ist?«
    Während ich zögerte, ob ich nicken oder den Kopf schütteln sollte, erzählte er schon, er habe noch einmal mit Isabella telephoniert und wisse von ihr, daß Allmayer diesen Sommer zu Fuß durch Bosnien hätte wandern wollen.
    »Angeblich hat er in seinen letzten Monaten eine Reisebeschreibung aus der Türkenzeit gelesen und vorgehabt, genau die gleiche Route zu nehmen«, sagte er, ohne dabei rührselig zu klingen. »Er wäre gleich hinter Karlovac gestartet und dann über Sarajevo und Višegrad durch den Sandžak bis Priština gegangen.«
    Obwohl ich es lächerlich fand, wie selbstverständlich er die Ortsnamen verwendete, die ihm im Grunde wahrscheinlich genauso unbekannt waren wie mir, bemühte ich mich, möglichst aufmerksam zu sein und Interesse zu mimen. Er hatte zwei Ausschnitte aus österreichischen Zeitungen bei sich, die er mir zeigte, ein Gedicht von Lilly mit dem Titel Trauer , eine einzige Herzensergießung, die in ihrer harmlosen Anheischigkeit so tolpatschig daherkam, daß er sich nicht weiter darüber ausließ, sowie einen zweispaltigen Artikel zur Erinnerung an Allmayer, und weil er mich drängte, ihn mir anzusehen, tat ich ihm den Gefallen und las die ersten paar Zeilen, wußte dann aber nicht, worauf er hinauswollte. Ich sah ihn fragend an und wartete, und erst als er seinen Zeigefinger auf eine Stelle legte, begann ich zu ahnen, daß er sich an dem Satz, der dort stand, festgebissen hatte.
    Darin hieß es wortwörtlich, nur sein typisch inneralpiner Ehrgeiz habe Allmayer aus einem winzigen Bergnest an der Waldgrenze im Lauf seines allzu kurzen Lebens bis in die Medienmetropole Hamburg gebracht, zu den großen deutschen Zeitungen, und obwohl das auf geradezu beschämende Weise dumm war, verstand ich nicht, warum er darüber

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