Das Harvard-Konzept
schlechter als vorher aussehen.
Ganz abgesehen davon, dass beide das gemeinsame Interesse haben, nichts zu verlieren, gibt es nahezu immer die Möglichkeit, Vorteile für beide Seiten zu entwickeln. Das kann in Form einer gegenseitig förderlichen Beziehung geschehen oder auch als gemeinsame Interessenbefriedigung mithilfe einer kreativen Lösung.
Finden Sie die gemeinsamen Interessen heraus
Rein theoretisch ist es offensichtlich, dass gemeinsame Interessen bei der Herstellung von Übereinkünften hilfreich sind. Wenn man eine Idee austüftelt, die die Interessen zusammenbringt, so ist das per definitionem gut für Sie wie für die Gegenseite. Praktisch sieht die Sache allerdings weniger klar aus. Bei Verhandlungen über einen bestimmten Preis sind gemeinsame Interessen meist nicht sichtbar und offenbar nicht relevant. Wie kann die Suche nach gemeinsamen Interessen dennoch hilfreich sein?
Nehmen wir ein Beispiel. Stellen Sie sich vor, Sie seien der Manager einer Ölraffinerie. Nennen wir diese Townsend Oil. Der Bürgermeister von Pageville – dem Ort, in dem die Raffinerie liegt – hat Ihnen erklärt, dass er die Steuer für die Gesellschaft von einer Million auf zwei Millionen jährlich erhöhen will. Sie haben ihm mitgeteilt, dass Ihrer Meinung nach eine Million völlig genügt. An dieser |109| Stelle bewegt sich nun derzeit die Verhandlung: Er möchte mehr, Sie möchten die bisherige Steuerhöhe beibehalten. Wo kommen bei einer solchen durchaus typischen Verhandlung gemeinsame Interessen ins Spiel?
Werfen wir einen genaueren Blick auf die Wünsche des Bürgermeisters. Er möchte Geld – sicherlich um städtische Dienstleistungen zu bezahlen, beispielsweise um ein neues Gemeindezentrum zu bauen, und um die anderen, kleinen Steuerzahler zu entlasten. Aber die Stadt kann nicht jetzt und in alle Zukunft ihre Geldbedürfnisse nur durch Townsend Oil befriedigen. Sie wird zum Beispiel auch Geld von der petrochemischen Industrie am Ort fordern, und fernerhin auch von den neuen Geschäften und den schon bestehenden Firmen, die expandieren. Der Bürgermeister ist selbst Geschäftsmann und wird wohl die industrielle Entwicklung fördern und neue Geschäfte an den Ort locken, die neue Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft des Ortes ankurbeln.
Welche Interessen haben Sie mit Ihrer Ölgesellschaft? Die Technologie im Ölgeschäft ändert sich schnell und Ihre Raffinerie ist veraltet, weshalb Sie derzeit eine größere Modernisierung und Vergrößerung der Firma planen. Sie haben Angst, dass die Stadt alsbald den Realwert der ausgebauten Firma höher ansetzen und danach auch die Steuern erhöhen wird. Sie haben überdies ein Kunststoffwerk an den Ort geholt, das Ihren Rohstoff verarbeitet; und natürlich müssen Sie fürchten, dass diese Firmen sich ebenfalls über die wachsende Steuerlast Gedanken machen.
Nun werden die gemeinsamen Interessen zwischen Ihnen und dem Bürgermeister schon deutlicher. Sie stimmen beide darin überein, dass man industrielle Expansion fördern und neue Industrien ermutigen sollte. Wenn Sie nun diese gemeinsamen Interessen unter einen Hut bringen und entsprechende Zielsetzungen entwickeln wollen, werden Sie wohl zu einer Reihe von Ideen kommen: Steuerfreiheit von sieben Jahren für neu angesiedelte Industrieanlagen; eine gemeinsame Werbungskampagne mit der Handelskammer, um neue Firmen anzuziehen; Steuererleichterung für expansionswillige |110| Industriefirmen. Solche Ideen können Ihnen helfen, Geld zu sparen, während gleichzeitig die Steuersäckel der Stadt gefüllt werden. Verschlechtern sich stattdessen aber die Beziehungen zwischen Ihrer Firma und der Stadt so werden beide die Verlierer sein. Sie Ihrerseits werden möglicherweise Ihre Spenden für soziale Belange und für sportliche Angelegenheiten verringern. Die Stadt wiederum wird vielleicht die Bauvorschriften und andere Anordnungen verschärfen. Auch Ihre persönlichen Beziehungen zu den politischen und geschäftlichen Führungspersönlichkeiten der Stadt werden getrübt. Das Verhältnis beider Seiten zueinander, das häufig einfach vorausgesetzt oder einfach übersehen wird, wiegt oft genug schwerer als das Ergebnis irgendeines besonderen Streitfalles.
Als Verhandlungspartner wird man fast immer nach Lösungen suchen, die die Gegenseite möglichst zufriedenstellen. Wenn sich der Käufer geprellt fühlt, hat der Verkäufer einen Fehler begangen. Er verliert möglicherweise einen Kunden und noch dazu leidet sein guter Ruf.
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