Das Harvard-Konzept
kollektiv entscheidende Körperschaft beeinflussen? Man kann nicht erfolgreich mit abstrakten Gebilden wie etwa »München« oder der »Hamburger Universität« verhandeln. Sie sollten nicht versuchen, »die Versicherungsgesellschaft« von einer Entscheidung zu überzeugen, sondern sich darauf konzentrieren, einem zuständigen Mitarbeiter der Versicherung eine entsprechende Empfehlung zu geben. Wie kompliziert der Entscheidungsprozess auf der Gegenseite auch sein mag, Sie verstehen das Ganze besser, wenn |116| Sie sich eine Person – am besten die, mit der Sie verhandeln – herausholen und zusehen, wie sich für diese Person das Problem darstellt.
Wenn Sie sich auf eine Person konzentrieren, so vernachlässigen Sie deshalb keineswegs die Komplexität der Dinge. Stattdessen bekommen Sie die Gegenseite in den Griff dadurch, dass Sie erkennen, wie die Person, mit der Sie verhandeln, ihrerseits beeinflusst wird. Sie werden alsbald Ihre eigene Rolle bei der Verhandlung neu einschätzen und Ihre Aufgabe beispielsweise dann darin sehen, dass Sie die Position des Ansprechpartners stärken, indem Sie ihm Argumente an die Hand geben, die er wiederum zur Überzeugung anderer in seiner Gruppe braucht. Ein britischer Botschafter beschrieb einmal seine eigene Aufgabe als »Hilfe für mein Gegenüber, neue Anweisungen zu erhalten«. Wenn Sie sich selbst in die Lage Ihres Gegenübers versetzen, werden Sie seine Probleme erkennen und verstehen, welche Optionen eben diese Probleme lösen können.
Welche Entscheidung ist wünschenswert?
Wir haben im ersten Kapitel des 2. Teils untersucht, wie man durch die Analyse der von der Gegenseite wahrgenommenen Wahlmöglichkeiten ihre Interessen erkennen kann. Nun müssen Sie Optionen entwickeln, die die Wahlmöglichkeiten der Gegenseite ändern, sodass sie in einer Sie befriedigenden Weise entscheidet. Ihre Aufgabe besteht jetzt darin, nicht mehr Fragen aufzuwerfen, sondern Antworten zu finden, die die anderen nicht vor eine schwierige, sondern vor eine leichte Entscheidung stellen. Dabei ist es grundsätzlich wichtig, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Entscheidung selbst konzentrieren, denn diese wird oft durch Unschlüssigkeit behindert.
Meist möchte man natürlich so viel wie möglich herausschlagen; aber wie viel das ist, weiß man eben nicht so genau. Da ist man versucht zu sagen: »Machen Sie einen Vorschlag, und ich sage Ihnen dann, ob es reicht.« Das erscheint Ihnen vielleicht vernünftig, aber wenn Sie das von der Gegenseite her betrachten, wird Ihnen klar, |117| dass Sie wohl eine sinnvollere Frage stellen sollten. Denn was immer die anderen auf ein solches Ansinnen auch antworten – Sie werden es immer nur als Grundlage akzeptieren und mehr fordern. Auch wenn Sie die Gegenseite bitten, mehr zu bieten, wird das kaum eine Entscheidung in Ihrem Sinn provozieren.
Viele Verhandelnde sind sich auch nicht darüber im Klaren, ob sie nun nur Verhandlungsangebote wollen oder präzise Leistungen. Wünschen Sie eine konkrete Leistung, dann sollten Sie keinen »Verhandlungsspielraum« vorgeben. Wenn Sie wollen, dass ein Pferd über ein Hindernis springt, erhöhen Sie ja auch nicht das betreffende Hindernis. Und wenn Sie mit Ihrem Automaten ein Getränk für 80 Cent verkaufen wollen, geben Sie ja auch nicht den Preis mit 1 Euro an, um noch Verhandlungsspielraum zu haben.
In den meisten Fällen zielt man auf ein Versprechen ab – ein Abkommen. Nehmen Sie Papier und Kugelschreiber und versuchen Sie einige mögliche Absprachen zu fixieren. Man kann in einer Verhandlung nie zu früh damit anfangen – es ist immer eine Hilfe für klares Denken. Bereiten Sie die verschiedensten Versionen vor, beginnen Sie dabei mit den einfachsten. Welche Bedingungen könnte die Gegenseite unterschreiben, die auch für Sie attraktiv sind? Können Sie die Anzahl der Leute reduzieren, deren Zustimmung dafür nötig ist? Können Sie eine Übereinkunft formulieren, die für die Gegenseite leicht realisierbar ist? Die anderen werden Schwierigkeiten beim Aushandeln einer Übereinkunft in Rechnung ziehen; das sollten auch Sie tun.
Normalerweise ist es leichter, eine bisher unterbliebene Handlung auch weiterhin zu unterlassen, als sie auszusetzen, wenn sie schon begonnen hat. Und es ist einfacher, mit etwas aufzuhören, als noch mal ganz von vorne anzufangen. Wenn Arbeiter bei ihrer Tätigkeit Musik hören wollen, ist es für die Firmenleitung leichter, wenn sie ein von den Arbeitern selbst
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