Das Harvard-Konzept
Druckausübung. Das alles mag illegal, unmoralisch und schlicht unerfreulich sein. Die Absicht dabei ist, in einem unsachlichen Willenskampf wesentliche Vorteile zu erzielen. Wir wollen solche Taktiken Verhandlungstricks nennen.
Zwei verschiedene Reaktionen herrschen hier vor, wenn Leute sich in solch trickreiche Verhandlungen verstrickt sehen. Die erste Standardreaktion besteht darin, solche Taktiken zu erdulden. Man will nicht noch Öl ins Feuer gießen. Man lässt die Gegenseite im Zweifelsfall gewähren oder man wird ärgerlich und nimmt sich vor, mit diesen Leuten nie wieder etwas anzufangen. Im gegenwärtigen Fall erhofft man sich das Beste und bleibt still. Viele Leute reagieren so. Ruhe bewahren, so hofft man, besänftigt auch die Gegenseite und hält sie von weiteren Forderungen an. Das mag manchmal zutreffen, in den meisten Fällen aber hilft das überhaupt nichts. Der britische Premierminister Neville Chamberlain zum Beispiel reagierte 1938 so auf Hitlers Verhandlungstaktiken. Kaum dachte Chamberlain, dass das Abkommen unter Dach und Fach war, da schraubte Hitler seine |180| Forderungen in die Höhe. Bei den Münchner Verhandlungen hoffte Chamberlain dann wieder, dass er einen Krieg vermeiden könnte, und stimmte allem zu. Ein Jahr später war der Zweite Weltkrieg da.
Die zweite übliche Reaktion besteht darin, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Wenn die anderen unverschämt hohe Forderungen stellen, setzt man selbst unverschämt niedrige Angebote dagegen. Täuschen einen die anderen, so täuscht man sie auch. Drohen sie, kontert man ebenfalls. Graben sie sich in ihrer Position ein, tut man das selbst auch, und zwar noch intensiver. Am Ende gibt eine Seite nach, oder – wie allzu oft – die Verhandlungen scheitern.
Derart trickreiche Taktiken sind illegitim, weil sie nicht umkehrbar sind: Ihr Wesen besteht ja gerade darin, dass nur eine Seite sie anwenden kann. Die Gegenseite sollte diese Taktiken gerade nicht kennen oder sie, selbst wenn sie davon weiß, tolerieren. Wir haben weiter oben schon ausgeführt, dass eine wirkungsvolle Antwort auf einen einseitigen inhaltlichen Vorschlag darin besteht, die dahinter liegenden Kriterien und deren Legitimität zu überprüfen. Verhandlungstricks sind tatsächlich immer einseitige Vorschläge über Verhandlungsverfahren (und nicht über die Inhalte), über das Spiel, das hier getrieben werden soll. Wenn Sie dem entgehen wollen, so müssen Sie nun sachbezogen über den Verhandlungs
prozess
verhandeln.
Wie verhandelt man über die Spielregeln?
Wenn die Gegenseite offenbar trickreiche Taktiken anwendet, handelt man die Spielregeln der Verhandlung am besten in drei Schritten aus: die Taktik erkennen, den Streitpunkt artikulieren und die Legitimität und Annehmbarkeit der Taktik hinterfragen. Darüber sollten Sie dann verhandeln.
Zuerst müssen Sie wissen, was da geschieht, und imstande sein, etwas dagegen zu unternehmen. Gewöhnen Sie sich bestimmte Erkenntnismethoden an, die Sie auf Betrugsmanöver hinweisen – auf solche, die am Ende die Gegenseite in ihrer Position einmauern. Zur |181| Ausschaltung einer Taktik genügt es oft schon, sie zu durchschauen. Wenn Sie zum Beispiel bemerken, dass die Gegenseite Sie persönlich angreift, um Ihre Urteilskraft zu mindern, wird alleine schon diese Erkenntnis den Versuch scheitern lassen.
Haben Sie die Taktik durchschaut, dann sprechen Sie mit der Gegenseite darüber. »Sagen Sie mal, Joe, kann sein, dass ich mich völlig irre; aber ich habe das Gefühl, dass ihr beide hier ein Spiel veranstaltet, in dem einer der ›Gute‹ und einer der ›Böse‹ sein muss. Wenn ihr eure Differenzen austragen wollt, können wir gerne eine Pause machen.« Wenn Sie die Taktik zur Sprache bringen, nehmen sie dieser nicht nur viel von ihrer Wirkung, sondern sorgen auch dafür, dass die Gegenseite befürchten muss, Sie total zu verärgern. Manchmal reicht es ganz einfach, die Frage nach der Taktik zu stellen, um ihre weitere Anwendung zu verhindern.
Die wichtigste Absicht bei der Artikulation der Taktikfrage besteht dabei darin, dass Sie eine Möglichkeit bekommen, die Spielregeln zum Verhandlungsgegenstand zu machen. Das ist der dritte Schritt. Diese Verhandlung bezieht sich auf die Verfahrensweise und nicht auf die Inhalte; aber das Ziel bleibt dabei, auf gütliche und doch wirkungsvolle Art ein vernünftiges Übereinkommen (hier über die Verfahrensweise) zustande zu bringen. Es wird wohl niemanden überraschen, dass die Methode
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